Vor der Skulptur "Moon Chest" von Ai Weiwei diskutierten Vizekanzler Michael Spindelegger und KUB-Direktor Yilmaz Dziewior (re.) über Freiheit, Grundrechte und ökonomische Zwänge.

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"Wir reden über Wirtschaftsprojekte, aber auch über Menschenrechte. Da darf man nur nicht lockerlassen", so Spindelegger.

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"Es fällt auf, dass verstärkt dort Kulturarbeit betrieben wird, wo man wirtschaftliche Interessen hat", sagt Dziewior.

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STANDARD: Wann waren Sie zum letzten Mal privat im Kunsthaus Bregenz, Herr Vizekanzler?

Spindelegger: Privat war ich noch nie hier, Vorarlberg liegt nicht ums Eck. Durch die Beziehung zu Ai Weiwei, den ich im Februar in Peking besucht habe, ist der Besuch jetzt eine Kombination aus persönlichem Interesse und beruflicher Tätigkeit.

Dziewior: Was hat Sie zuerst an Ai Weiwei interessiert: seine künstlerische Arbeit? Oder haben Sie seine politischen Äußerungen zu seiner Kunst geführt?

Spindelegger: Mit dem Besuch in seinem Studio wollten wir Sympathie für sein Tun und seinen Mut zum Ausdruck bringen. Interessiert hat mich aber auch sein Kunstprojekt mit den Namen der Erdbebenopfer von Sichuan, 5000 Namen, die er auf einer großen Wand stilisiert hat, um damit aufzuzeigen, dass man das Schicksal einzelner Betroffener nicht einfach vergessen darf. Er hat dann unsere Begegnung auf Twitter gestellt. Der Besuch wurde zu einem Riesenthema, leider ein negatives für ihn, was mir sehr leid tut. Deshalb haben wir uns dann sehr bemüht, sein Schicksal zu verfolgen.

Dziewior: Ich stelle es mir schwierig vor, mit dieser Verantwortung als Politiker umzugehen. Man ist mit Erwartungen konfrontiert - Ai Weiwei beispielsweise erwartet sich von der Politik, dass sie für die Menschenrechte, für größtmögliche Meinungsfreiheit eintritt -, gleichzeitig wird Ihnen aber auch bewusst sein, dass die Handlungsfähigkeit eines österreichischen Außenministers begrenzt ist. In Bezug auf China hat Österreich starke ökonomische Interessen - sich gleichzeitig für die Menschenrechte einzusetzen, das sind ja sehr gegensätzliche Bestrebungen ...

Spindelegger: Natürlich reden wir im Interesse unserer Unternehmen über gemeinsame wirtschaftliche Projekte, aber wir reden auch über die Menschenrechte. Da darf man nur nicht lockerlassen. Auf meinen Vorschlag wurde der Menschenrechtsdialog Europäische Union - China wieder aufgenommen.

Dziewior: Sie haben ja selbst erfahren, dass man, wenn man die offiziellen chinesischen Vertreter auf die Menschenrechte anspricht, nicht weit vordringen kann. Ich stelle mir das frustrierend vor: Sie haben China besucht, in Bezug auf wirtschaftliche Kommunikation viel erreicht, aber Ihr Insistieren auf die Menschenrechte konnte nicht verhindern, dass Ai Weiwei verhaftet wurde. Das muss ja wie ein Schlag ins Gesicht sein.

Spindelegger: Mag sein. Es ist natürlich eine Gratwanderung, ich bin auch nicht immer erfreut, dass nicht alles so schnell geht, wie ich es möchte. Schon Max Weber hat gesagt, dass Politik das Bohren harter Bretter ist. Das gilt auch in diesem Fall. Ich habe im Kreise der europäischen Außenminister den Fall Ai Weiwei angesprochen, Guido Westerwelle hat sich seiner angenommen. Wenn das alle tun, sind wir schon 27. Mittelfristig würde ich die Wirkung nicht unterschätzen. Ich glaube schon, dass China ein großes Interesse hat, in der Staatengemeinschaft als Land anerkannt zu werden, das den westlichen Ansprüchen genügen kann. Der chinesische Außenminister hat mir zum Beispiel gesagt, wie wichtig ihm die Mitwirkung eines chinesisches Orchesters bei den Salzburger Festspielen wäre.

STANDARD: Ist der Menschenrechtsdialog mehr als diplomatisches Parlieren?

Spindelegger: Bei Ai Weiwei wurde sehr konkret gesprochen. Wir wollten wissen, wo er ist, was ihm zur Last gelegt wird.

STANDARD: Bekamen Sie Antworten auf diese Fragen?

Spindelegger: Nicht exakt. Wir bekamen die Anklageschrift nicht - wo er sich befindet, wurde nicht gleich beantwortet. Aber ich sehe seine Freilassung als Reaktion mit gewisser Zeitverzögerung.

STANDARD: Er darf aber nicht ausreisen, steht unter Hausarrest.

Spindelegger: Das schmerzt. Durch diese Ausstellung ist Ai Weiwei aber in aller Munde. Das bewirkt etwas und wird längerfristig für viele andere Menschen Folgen haben.

Dziewior: Die österreichische Wirtschaft hat die stärkere Lobby als die Kultur. Teilen Sie meine Einschätzung?

Spindelegger: Im Außenministerium betreuen wir auch die Auslandskulturagenden, haben an vielen Botschaften einen eigenen Kulturattaché. Als mittelgroßes Land sind wir eine Kulturgroßmacht, das müssen wir aber noch stärker zur Geltung bringen. Nicht nur mit Mozart, auch mit moderner Kunst, Architektur, Literatur. Kultur ist ein Türöffner, eine Möglichkeit, Schwierigkeiten zu überwinden.

Dziewior: Ich unterstelle Ihnen ja durchaus positive Intentionen, wenn Sie das kulturelle Kapital einsetzen wollen. Da könnten aber auch Friktionen auftreten. Ai Weiwei beispielsweise, der in Chinas größtes Prestigeobjekt, das "Bird's Nest", das Olympiastadion, involviert war, hat sich dagegen gesträubt, als er gemerkt hat, dass er von der Politik instrumentalisiert wird. Ich sehe das Verhältnis Politik - Kunst etwas zurückhaltender, weil die Geschichte uns leider gelehrt hat, dass bei einem engen Verhältnis von bildender Kunst und Politik die Kunst benutzt wird.

Spindelegger: Ich möchte als Außenminister nicht Kultur missbrauchen, um bessere wirtschaftliche Möglichkeiten vorzufinden. Kultur muss etwas Einmaliges, Besonderes bleiben.

STANDARD: Angebote wie Walzertanzkurse auf chinesischen Plätzen oder Wiener Ballnächte vor der Oper in Lissabon sind doch eher Tourismuswerbung.

Spindelegger: Wir feiern mit China dieses Jahr das Jubiläum 40 Jahre diplomatische Beziehungen, da muss man auch auf den anderen eingehen. Die Walzerkurse waren der Wunsch der chinesischen Seite. Wir machen aber auch andere Projekte. Beispielsweise sehr moderne Kunst im New Yorker Kulturforum, das passt zum amerikanischen Publikum besser.

STANDARD: Die Außenkultur beschränkt sich auf New York, Tokio und Europa. Warum scheint Afrika auf Ihrer Landkarte nicht auf?

Spindelegger: Afrika wäre schön, aber da haben wir derzeit keine Mittel. Wir können nur punktuelle Schwerpunkte setzen, im Moment im Schwarzmeerraum.

Dziewior: Es fällt auf, dass verstärkt dort Kulturarbeit betrieben wird, wo man wirtschaftliche Interessen hat. In Afrika sind die Absatzmärkte offensichtlich nicht so groß. Es wäre doch dringlich, die gestalterische Möglichkeit der Politik dort einzusetzen, wo Mangelbereiche sind. Wo die Wirtschaft boomt, könnte man ja von den Wirtschaftspartnern vor Ort erwarten, dass sie kulturell aktiv werden.

Spindelegger: Hat man wenig Geld, muss man versuchen, mit wenig viel zu erreichen. Generell stimmt aber der Vorwurf: Wir tun bezüglich Afrika zu wenig.

STANDARD: Wie hoch ist der Anteil der Kultur am Budget des Außenministeriums?

Spindelegger: Relativ gering. Bei einem Gesamtbudget von 427 Millionen Euro liegt er bei knapp sieben Millionen.

STANDARD: Ein Teil der Außenkultur sind Deutschkurse in den Österreich-Instituten, sind Sie da Handlanger des Innenministeriums?

Spindelegger: Mit der Rot-Weiß-Rot-Card haben wir eine neue Situation, wollen bessere Möglichkeiten zur Integration schaffen. Die deutsche Sprache ist dazu wichtig, deshalb bieten wir die Kurse an. Das verschlingt nicht so viele Mittel.

Dziewior: Österreich steht beim Thema Migration oft unrühmlich im Mittelpunkt. Haben Sie Konzepte, Menschen das Leben in einem neuen kulturellen Umfeld zu erleichtern? Migranten leben im Konflikt, die eigene Kultur, wie es den Menschenrechten entspricht, leben zu wollen und sich dennoch auf das neue Land einzulassen.

Spindelegger: Für mich steht fest: Zuwanderung ist in Österreich aufgrund der demografischen Entwicklung notwendig, sonst werden wir nicht überleben. Wir werden noch stärker werbliche Maßnahmen setzen. Wir sollen nicht warten, bis irgendjemand kommt, und dann entscheiden, ob der richtig oder falsch ist.

STANDARD: Passt es zu diesem Konzept, die Wohnungsvergabe an Deutschkenntnisse zu knüpfen?

Spindelegger: Wenn jemand in Österreich leben will, soll er die deutsche Sprache beherrschen. Ob man die Wohnungsvergabe an Deutschkenntnisse knüpft, sollen die Gemeinden entscheiden.

Dziewior: Es ist doch ein Widerspruch zu sagen, wir laden Menschen ein, hier zu leben, aber die Pluralität einer Gesellschaft, von Sprachen nicht zuzulassen. Dieser Ausschlussmechanismus birgt die Gefahr, alles zu homogenisieren. Wenn sich das so zuspitzt, dass man sogar die Wohnungsvergabe an Deutschkenntnisse knüpfen will, dann sind wir wieder bei den Menschenrechten. Wenn man ein Grundrecht an Sprachkenntnisse koppelt, wird es problematisch.

Spindelegger: Darüber kann man diskutieren. Für mich ist wichtig: Wenn wir von unseren Kindern verlangen, dass sie mindestens zwei Sprachen sprechen, dann muss ich das auch von denen verlangen, die nach Österreich kommen. Sonst wird Kommunikation und Integration erschwert. (Jutta Berger, DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.7.2011)