Im Dunkeln bleibt bei dieses Super-Egos freilich nur der wirkliche Name, ihr "wahres Ich".

Foto: Standard/Matthias Cremer

Ihre sprechenden Nicks sind meist schon das Beste an ihnen - auch auf derStandard.at: Gary Grantscherbn, Weana Beinhart, der Sturmerr, der Ätzer oder - fast schon dodereresk, tatsächlich aber von Douglas Adams entlehnt - Slartibartfaß der Umwandler, ein erwiesenermaßen auch der Koprolalie durchaus nicht abgeneigter Hass-Tiradeur erster Güte: "... weil aus ihnen scheisse aus dem mund rinnt".

Bei allem gegenseitigen Niedermachen und Schmähen ("Lern sinnerfassendes Lesen!") haben diese zwideren Zeitgenossen mehr gemein als ihrer Widerborstigkeit lieb sein dürfte: zuvorderst ein enormes Aufplustern des eigenen Egos durch die Verschleierung der Identität. Im Dunkeln bleibt bei diesen Super-Egos freilich nur der wirkliche Name, ihr "wahres Ich" hingegen drängt eh gern mottengleich zum Licht, um dort im Schutz der Anonymität als "Über-Ich" (gar "Es"?) gottgleich zu nerven.

Der alte Rimbaud'sche Entfremdungs-Hit, in dessen Refrain behauptet wird "Ich ist ein anderer", erlebt in der Posting-Welt ein Revival als Morak'scher "Schizo-Punk". Das in der Kontrollgesellschaft zugerichtete Subjekt ohne Selbst mutiert als Aggro-Poster zum keifenden Popanz, der sich nur mittels Negation und Abgrenzung seiner Selbstherrlichkeit versichern kann. Und das obendrein mit dem Bonus, dass der Schizo-Punk jederzeit - im Gegensatz zum Schizophrenie-Patienten - seinem Kuscher-Ich durch Web-Motschkern entfliehen kann. Und umgekehrt. Wenn sich in solch lustvoller Zwie- gespaltenheit ein Poster mit dem Pseudonym "Der ganz Andere" schmückt, dann grenzt das fast schon an versuchte Selbst- therapie. Inklusive Abreaktionsspiel.

In dieser Wildnis der, wenn schon nicht Heckenschützen, so doch Heckenbrunzer fällt es verdammt schwer, Ruhe zu bewahren. Ich weiß, wovon ich rede, habe ich mich doch selbst schon einige Male in sie begeben - natürlich immer nur nächtens und angetrunken; nüchtern hätte ich die tristen Konsequenzen vorhergesehen. Dabei ging es mir fast nie um den Inhalt des Blogs oder Artikels, promillebeflügelt wollte ich nur alte Tugenden wie "Höflichkeit", "Respekt vor anderer Meinung" oder gar das kniggeselige "gute Benehmen" (oh Rausch!) beschwören, also zwischenmenschliche Umgangsformen, die sich vor allem in der Hass-Community gegen die Standard-Musikberichterstattung kaum noch in Spurenelementen finden lassen.

Masse und Ohnmacht

Mehr hat der Max Goldt in mir nicht gebraucht: Ein "abgehalfterter Berufsjugendlicher" sei ich, wenigstens "früher einmal ganz interessant", heute aber nur noch ein "alter Lustmolch, der aus Geilheit hübsche Musikerinnen protegiere" (stimmt: fragt nur die hübsche Laokoongruppe), unsere Sendung sei "nichts als pseudoakademische Klugscheißerei", und FM4 seit langem sowieso "der letzte Schas" (pars pro toto wird gern gleich der ganzer Sender sturmreif gebrunzt).

Seit dieser Besudelung seitens der AA (= Anonyme Arschgeigen) meide ich im Zustand fort- geschrittener Fahruntüchtigkeit die Lektüre von Postings zu Rezensionen meiner geschätzten Kollegen Fluch und Schachinger wie der Teufel Lemmy das Trinkwasser.

Schwärme besitzen oft - wie Rudel - die unangenehme Tendenz, ihre normierende Kollektivität via scheinindividueller Großmäuligkeit einzelner Herdentiere zu kaschieren: Pappn aufreißen inmitten einer Meute fällt dem sonst stets geduckt gehaltenen Spießer halt leichter, als sich couragiert an ein Rednerpult zu stellen. Zwischen diesem "wildgewordenen Kleinbürger" (Reaktion) und dem neuen "Wutbürger" (Aktion) erstreckt sich die Wüste des Ressentiments. Schwarmintelligenz könnte helfen, sie zurückzudrängen, aber deren positives Wirken entfaltet sich - noch - zu sehr nach Prinzipien der Chaostheorie: auf Dauer labil und schwer berechenbar. Stabil und leicht abschätzbar hingegen erweisen sich alle Felder negativer Zusammenrottung: Schwarm-Aggression, Schwarm-Blödheit und Schwarm-Feigheit. Letztere ein typischer Fall von Masse und Ohnmacht.

So - und jetzt husch, husch an die Tasten, ihr Sturmerr, Ätzer und Umwandler. Aber bitte: Identifizieren S' Ihna! (Fritz Ostermayer, DER STANDARD - Printausgabe, 30./31. Juli 2011)