Silja Tillner in ihrem mühsam sanierten Reihenhaus aus dem Jahr 1932: "Das Haus sah aus wie eine Ruine. Die totale Verzweiflung."

(Foto: Lisi Specht)

Foto: Lisi Specht

Die Wiener Architektin Silja Tillner sanierte vor rund zehn Jahren ein Reihenhaus in der Wiener Werkbundsiedlung. Wojciech Czaja erfuhr die Geschichte vom Umbau.

"Ich habe nach dem Studium sechs Jahre lang in Los Angeles gelebt. In Santa Monica habe ich ein kleines Reihenhaus gemietet. In so einem Klima lernt man, in und mit der Natur zu leben. Das Hinausgehen ins Freie mit einer Tasse Kaffee in der Hand ist dort selbstverständlich. Irgendwann einmal kann und will man nicht mehr ohne Grün leben.

Als ich 1995 nach Wien zurückgekommen bin, habe ich mich in den alten Gründerzeithäusern, die ich früher so geschätzt hatte, nicht mehr wohlgefühlt. Mir hat der Grünbezug gefehlt. Durch einen Zufall bin ich dann auf die Werkbundsiedlung in Ober Sankt Veit gestoßen. Ein Mekka für alle Architekten! Als Studentin war ich hier oft spazieren und zeichnen. Über ein paar Ecken habe ich erfahren, dass ein Reihenhaus von Gerrit Rietveld aus dem Jahr 1932 leerstand. Ich wollte es unbedingt haben, also habe ich den Eigentümern ein verbindliches Kaufanbot geschickt.

So weit, so gut. Und dann kamen die großen Überraschungen! Die Terrassen waren undicht, der Keller war total feucht, aus der Fuge zwischen Mauer und Decke ist schräg ein Kirschbaum herausgewachsen, die Fenster waren zugemauert, und die Holztüren waren zum Teil durch Blechtüren ersetzt. Kurzum: Vieles, was die Architektur der Moderne ausmacht, war zerstört.

Von der Tochter des Vorbesitzers habe ich dann Originaleinreichpläne, Kaufverträge und historische Fotos bekommen. Die Kooperation war sehr gut. So konnte ich ziemlich genau nachvollziehen, wie es hier früher ausgesehen haben muss. Das Haus hat drei Geschoße, insgesamt gibt es aber fünf Ebenen, die durch unterschiedliche Raumhöhen zustande kommen. Ich schätze die Architektur Gerrit Rietvelds sehr. Und mir war klar: Wenn ich das Haus schon kaufe, dann werde ich mich hier nicht selbst verwirklichen, sondern werde es nach Möglichkeit in seinen Originalzustand zurückführen.

Das Haus steht unter Denkmalschutz. Die Auflagen waren entsprechend streng. Ich habe vom Bundesdenkmalamt und vom Altstadt-Erhaltungsfonds eine kleine Förderung bekommen. Das Geld konnte ich dazu verwenden, einige historische Bauteile zu sanieren. Die alten, gusseisernen Heizkörper wurden sandgestrahlt und neu lackiert. Die teilweise fehlenden Fensterbeschläge und eine Terrassentür wurden originalgetreu nachproduziert. Und die hölzerne Wendeltreppe wurde repariert. Die Häuser der Moderne leben vor allem durch ihre Details. Ich glaube, dass heute vieles von der damaligen Atmosphäre wieder spürbar ist.

Ich mag die Farben in diesem Haus. Das Senfgelb der Türen zum Beispiel! Das ist eine Farbe, die Rietveld sehr oft verwendet hat. Oder die Fenster und Türen: Sie sind außen in diesem schönen Taubenblau lackiert. Und die Farbe des Linolbodens konnte ich aus einem Beschwerdebrief aus dem Jahr 1933 rekonstruieren. Damals hat sich der Eigentümer über den grauen Boden beklagt. Das war eine wichtige Information.

Aber ich muss zugeben: Der Umbau war anstrengend und hat fast zwei Jahre gedauert. Und nach ein paar Monaten hatte ich einen richtigen Durchhänger. Das Haus sah aus wie eine Ruine, die Wände waren aufgestemmt, und ich war am Ende meines Baubudgets. Die totale Verzweiflung. Ich bin froh, dass ich durchgehalten habe.

Ich bin hier umgeben von Geschichte und Natur. Was Schöneres kann ich mir kaum vorstellen. Eine einzige Einschränkung gibt es: Wenn man in einem Haus der Moderne wohnt, muss man sich bewusst überlegen, welche Möbel man hineinstellt. Plüschiger Ohrenfauteuil, Großmutters antike Kredenz und Vorhänge vor dem Fenster: Das geht gar nicht! Aber da sind Rietveld und ich sowieso einer Meinung ..." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30./31.7.2011)