Foto: Screenshot

In den USA steht das Unternehmen Netflix heute fast synonym für DVD-Verleih und Video-on-Demand-Streaming-Angebote - den bedeutenden Mitbewerbern wie Amazon, Hulu (steht gerade zum Verkauf) und Arthouse-Nischenanbietern wie Mubi zum Trotz. Schon mit der Namensgebung war Netflix einst - nämlich bei seiner Gründung im Jahr 1997 - weit vornedran, lange bevor zum DVD-Postversand die wirklichen Netflix, also im Netz selbst abrufbare Filme hinzukamen. Wie enorm erfolgreich das VoD-Angebot "Netflix Instant" ist, belegen die Zahlen: Die Abrufe von Filmen per Streaming bei Netflix sind aktuell der größte Einzelposten im Datenverkehr des Internets in Nordamerika (USA und Kanada) und haben einen Bandbreiten-Marktanteil von 25 Prozent (das heißt nicht zuletzt: mehr als Youtube).

Kein Wunder, dass jeder Schritt, den Netflix tut, als Schritt in die entscheidenden Bewegtbild-Zukunftsmärkte mit Faszination und Argwohn beäugt wird. Nicht zuletzt aus der europäischen Perspektive: Nicht nur in Österreich, auch in allen großen Märkten von Deutschland bis Frankreich oder Großbritannien haben kommerzielle Video-on-Demand-Angebote bislang nicht den Durchbruch in den Massenmarkt geschafft. Netflix selbst hat internationale Expansionspläne, die bislang kaum dementiert wurden - und mit der nun verkündeten Ausbreitung Richtung Lateinamerika (vgl. die Meldung im Standard vom Juli) erstmals umgesetzt werden.

In den USA und Kanada hat Netflix unterdessen einen nicht geringen Teil seiner bisher 23 Millionen Kunden mit einer weitreichenden Entscheidung verärgert. Es schafft das bislang im Doppelpack günstige Abo ab und teilt seine Angebote nun erstmals auf. Man kann sich jetzt alternativ für den reinen DVD-Verleih per Post und das reine Streaming entscheiden. Wer beides will, zahlt einen deutlich höheren Preis. Aus Perspektive des Unternehmens war das wohl alternativlos. Die großen Studios räumen nur widerwillig die Streaming-Rechte ein, solange sie die Hoffnung nicht aufgegeben haben, diesen Markt vielleicht noch selbst entwickeln oder gar dominieren zu können. Die Schlacht scheint, bevor sie recht geschlagen ist, schon verloren. Wenigstens die Preise treiben die Rechteinhaber, solange sie noch am halbwegs langen Hebel sitzen, aber hoch.

Die Vergangenheit: DVD-Versand


Die Bedeutung der Netflix-Entscheidung ist nicht zu unterschätzen, auch hierzulande und überhaupt in Europa, wo das alles noch gar keine Rolle spielt. Beschreiben lässt sich der Split in DVD-Verleih und VoD als Reaktion auf die sich ausdifferenzierende Lage, aber eigentlich handelt es sich angesichts der Marktmacht von Netflix fast mehr um die bewusste Strukturierung als die bloße Antizipation eines in Zukunft immer bedeutender werdenden Markts.  Für den Übergang vom Vergangenheits- in den Zukunftsmarkt veranschlagt Netflix selbst beträchtliche Zeiträume, verspricht jedenfalls, den klassischen DVD-Versand weiter aufmerksam zu betreuen. Hinter den Kulissen läuft allerdings der Rechtekauf für Video-on-Demand - und wenn nicht alles täuscht, werden da derzeit nach Möglichkeit stets schon die weltweiten Rechte verhandelt. Genau das hat bislang angesichts der überaus komplizierten und zersplitterten Rechtelage gefehlt: Ein Quasi-Monopolist, der den Studios mit gewaltiger Marktmacht gegenübertritt und ihnen die von diesen bislang nach Regionalmärkten einzeln verkauften (oder eben nicht verkauften) Rechte abhandeln kann. (Die Konkurrenz schläft allerdings nicht.)

Die Zukunft: Netflix Watch Instantly

 


Aus cinephiler Sicht gibt es freilich mancherlei zu beklagen. So sind die "Netfilix-Instant"-Ausgaben der Filme qualtitativ und filmphilologisch nach allgemeiner Auskunft der Nutzer weit schlechter und unzuverlässiger als die DVD-Editionen - wie ja überhaupt die DVD  trotz Preisverfall und Markteinbruch noch immer als tendenziell cinephil-sorgfältig behandeltes Medium für neue und vor allem ältere Filme funktioniert. Fürs Streaming kauft Netflix derzeit offenbar auch allerhand Ramsch, von den angesichts der häufig noch immer begrenzten Bandbreiten qualitätsvermindernden Kompressionsraten der digitalen Daten ganz zu schweigen.

Ein scheinbarer Nebenaspekt fand im allgemeinen Aufschrei aus Protest gegen die Netflix-Entscheidung zur Markt-Trennung weniger Beachtung. Wer nämlich von DVD-Versand auf das Streaming-Angebot umsteigt, verliert die gespeicherte "Queue". Das ist die von der Nutzerin und vom Nutzer selbst angelegte Liste von Filmen, die sie und ihn interessieren. Weil nicht immer alles auf DVD vorrätig ist, wählt Netflix selbst nach Lage des Vorrats, die Liste absteigend, die Reihenfolge des Versands.

Das Prinzip "Queue" steht allerdings in Konkurrenz zu einem ganz anderen, algorithmischen Prinzip. Zur Verbesserung seines Algorithmus, der nach dem von Amazon her vertrauten Muster "Wem dies gefällt, dem könnte auch das gefallen" funktioniert, hat Netflix einst einen Preis (in Höhe von 1 Mio Dollar) ausgeschrieben. Dieser Algorithmus - er trägt den Namen "Pragmatic Chaos" - ist inzwischen von großer Bedeutung für die Auswahl der von den Nutzern gesehenen Filme: der Anteil der algorithmischen Wahl bei den Netflix-Nutzern liegt bei 60 Prozent. Das heißt: Was der einzelne sieht, wird zukünftig weniger von Veröffentlichungsdaten der Studios und Konzerne als von der auf das Individuum und seinen - im sozialen Abgleich ermittelten - Geschmack zugeschnittenen Filterblase bestimmt.

In den USA ist Netflix nicht nur der Hauptverantwortliche fürs Ableben der Videotheken-Kette Blockbuster, sondern, wie es derzeit aussieht, auf dem Weg zum wichtigsten Player im Kinomarkt. Von hier aus scheint das alles noch weit weg. Man muss kein Prophet sein, um zu sagen: Binnen weniger Jahre jedoch werden die Marktentscheidungen, die Netflix gerade trifft, auch uns in Österreich, Deutschland, Europa im Kern unseres Bewegtbildkonsums betreffen.