Wien - Locker-flockig ging der Umstieg von der kommunistischen Planwirtschaft zur freien Marktwirtschaft in Russland nicht über die Bühne. Nach 1989 sank das russische Bruttoinlandsprodukt Jahr für Jahr. In Summe brach die Wirtschaftsleistung im Jahrzehnt nach der Wende um fast 60 Prozent ein.

Damit war der Grundstein für die Russlandkrise des Jahres 1998 gelegt, die am 17. August in die vorübergehende Zahlungsunfähigkeit des Landes mündete. Wobei die russische Pleite auch als Nachläufer der Asienkrise von 1997 betrachtet werden darf. Diese hatte zu einer Neubewertung der Risiken in Schwellenländern geführt. Bei den Anlegern gab es eine "Flucht in die Qualität", Staatsanleihen von risikoreicheren Ländern wurden nur mehr zu deutlich höheren Zinsen gehandelt.

Was das für Russland bedeutete? Anfang 1998 stieg der Zinssatz für zehnjährige Staatsanleihen auf 20 Prozent, im Juni waren es dann 60 Prozent, und wenige Wochen später kletterte der Zinssatz für Rubel-Anleihen sogar auf 150 Prozent. Der Markt ging also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einem Zahlungsausfall aus - und er sollte recht behalten.

Die enormen Rohstoffvorräte konnten Russland zu diesem Zeitpunkt nicht mehr retten. Wegen Rezessionen in Südostasien brach die Nachfrage nach Erdöl ein, was zu einem Preisverfall von bis zu 40 Prozent führte. Damit war die Abwärtsspirale nicht mehr zu stoppen. Erdöl war und ist für Russland ein wichtiges Exportgut - und somit auch eine wichtige Quelle für Steuereinnahmen.

Hinzu kam, dass der Transformationsprozess nach 1989 in der Praxis nicht so funktionierte, wie man sich das in der Theorie vorgestellt hatte. Die meisten Preise wurden 1992 über Nacht freigegeben, was zu einer Hyperinflation führte. Die Ersparnisse der Mittelschicht lösten sich so in Luft auf.

Tafelsilber verscherbelt

Russische Oligarchen, die zuvor zu günstigsten Preisen staatliche Vermögenswerte aufkauften, brachten ihre Vermögen im Ausland in Sicherheit. Die russische Finanz, die nicht in der Lage war, ein effizientes Steuersystem aufzubauen, schaute dabei oft durch die Finger. Auch an den Aktienmärkten zogen die Anleger ihr Kapital massiv ab.

Zu diesem Zeitpunkt war längst klar, dass der Rubel deutlich überbewertet war. Die inländischen Produzenten, die sich erst nach und nach an das Fehlen von zentralwirtschaftlichen Vorgaben gewöhnen mussten, waren nicht konkurrenzfähig. Auf Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der USA wurde aber lange versucht, eine Abwertung zu verhindern. Argumentiert wurde das mit der Angst vor einer weiteren Runde Hyperinflation.

Um den Wechselkurs zu stabilisieren, wurde im Juli 1998 ein 22,6 Milliarden Dollar schweres Rettungspaket von IWF und Weltbank beschlossen. Die erste Tranche von 4,8 Mrd. Dollar wurde am 20. Juli noch ausbezahlt.

Das Signal verpuffte aber an den Märkten. Drei Wochen später gab Russland eine Zahlungseinstellung und die Abwertung des Rubels bekannt. Kurzfristige Kredite wurden einseitig in langfristige umgewandelt. Die Landeswährung stürzte ab. Anfang 1999 hatte der Rubel gegenüber dem Stand von Mitte 1998 um real 45 Prozent an Wert verloren.

Von der Schockwelle waren andere Länder wie Brasilien, Argentinien oder Kolumbien negativ betroffen. Russische Banken wurden durch Massenabhebung in die Insolvenz gestürzt, das Zahlungssystem brach temporär zusammen. Das BIP brach 1998 neuerlich um 4,6 Prozent ein, die Inflation kletterte auf mehr als 80 Prozent. Die Zahl der in Armut lebenden Russen stieg drastisch an. Dank abgewerteter Währung war die russische Wirtschaft aber wieder konkurrenzfähig. Ab 1999 konnten positive Wachstumsraten erzielt werden. (Günther Oswald, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 9.8.2011)