Lange Nächte in der Stadt der Liebe: Gil (Owen Wilson) trifft in Woody Allens Komödie "Midnight in Paris" auf die Muse Adriana (Marion Cotillard) - leider lebt sie in der falschen Epoche.

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Woody Allen: "Ich bin ein Fan von Realitätsflucht."

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Dominik Kamalzadeh sprach mit dem Regisseur über Paris-Mythen, Magie und dröge Wirklichkeit.

Wien - Dass Woody Allen für das Kino und die Geistesgrößen Europas viel Zuneigung hegt, ist bekannt. Doch kaum eine Komödie des umtriebigen US-Regisseurs hat diese wohl so unverblümt zum Ausdruck gebracht wie Midnight in Paris. Owen Wilson, ein Neuzugang im Allen-Kosmos, spielt Gil, einen Drehbuchautor, den es mit seiner Verlobten an die Stadt an der Seine verschlägt. Dem Romantiker, der Paris immer noch als Künstlermetropole betrachtet, eröffnet sich eines Mitternachts die Möglichkeit, in die 1920er-Jahre abzutauchen und auf alle seine Vorbilder zu treffen. Midnight in Paris ist einer der schwungvollsten Komödie Allens seit langem, mit der schönen Botschaft, dass Nostalgie eine Einbahnstraße ist.

STANDARD: Paris ist in Ihrem Film ein imaginärer Ort, bevölkert von Größen der "Lost Generation". Woher kommt diese Fantasie?

Allen: Amerikaner haben nach Paris immer über den Umweg des Kinos gefunden. Durch Filme wie Gigi oder An American in Paris hatte die Stadt den Ruf, die Metropole der Liebe und romantischer Verwicklungen zu sein. Auch die des Champagners, langer Nächte, der Mode und Kultiviertheit. Als ich nun plante, einen Film über Paris zu machen, musste ich diesen Weg gehen. Es gibt diesen Film Midnight, den Billy Wilder geschrieben hat und der auch in Paris spielt. Da dachte ich, Midnight in Paris, das wäre ein toller Titel. Aber mir fiel nichts ein, was passieren könnte: Zu Mitternacht, da gehen die Menschen wahrscheinlich bloß schlafen ...

STANDARD: Dann hatten Sie aber doch einen Einfall.

Allen: Glücklicherweise kam ich auf die Idee, dass die zentrale Figur zu Mitternacht auf ein Auto stößt, das ihn mitnimmt auf eine Party. Ich dachte: Was wäre, wenn diese Party nicht in der Gegenwart, sondern in den 1920er-Jahren stattfinden würde? Das wäre doch viel interessanter. So konnte ich ein idealisiertes Paris zeigen. Was sich übrigens mit meiner Sichtweise von Paris deckt, die rettungslos romantisch ist.

STANDARD: Das Paris der 1920er-Jahre ist also ein Sehnsuchtsort?

Allen: Wir alle stellen uns Paris doch so vor! Fragen Sie einen Amerikaner: Er wird Ihnen sagen, Paris in den 20ern, das waren Picasso und Hemingway, die irgendwo hemmungslos Absinth tranken. Die Leute sitzen im Café und reden nur über Kunst. Wir wissen zwar nicht, wie viel davon wahr ist. Aber die Vorstellung, dass die Maler sich alle eine Frau teilen, gefällt uns. Dieser kreative Freiraum ist Teil unserer Mythologie.

STANDARD: Corey Stoll spielt Ernest Hemingway besonders gut. Er ist wie ein wandelndes Klischee, das durch Wahrhaftigkeit überrascht. Was haben Sie ihm geraten?

Allen: Mir ging es darum, dass Hemingway nicht so spricht, wie er wirklich gesprochen hat, sondern so, wie er geschrieben hat. Er hatte diese unglaublich romantische Art, über das Schreiben, die Liebe, die Gefahr oder auch das Essen zu schreiben. Ich habe diesen Stil gesucht, und Corey hat das perfekt getroffen. Auch bei den anderen, bei Dalí, Buñuel, den Fitzgeralds etcetera habe ich nach Facetten gesucht, die man kennt.

STANDARD: Nebst aller Komik hat der Film auch einen existenziellen Unterton, Gil, den Owen Wilson spielt, flieht in die Vergangenheit. Was gefällt Ihnen an diesem Spiel mit Realitäten?

Allen: Ich bin ein großer Fan von Realitätsflucht. Unglücklicherweise gelingt sie nie. Es ist doch so: Jeder leidet an seiner Realität. In Endstation Sehnsucht sagt Blanche: "Ich will keine Realität, ich will Magie." Es gibt Leute, die halten die Wirklichkeit nicht aus und brauchen eben ein wenig Magie, um sie erträglicher zu machen. Auch Owen will in einer anderen Zeit leben, doch es gibt kein goldenes Zeitalter. Das Leben ist heutzutage schrecklich, es war auch schon früher so. In 50 Jahren wird es nicht anders sein. Das Leben ist ein Angebot voller Schmerzen.

STANDARD: Braucht man deshalb auch als Künstler die alten Meister?

Allen: Ich glaube schon. Als Künstler ist man auf sich selbst angewiesen, sucht nach Vorbildern - diese Angewohnheit ist durchaus hartnäckig.

STANDARD: Andererseits tritt der Film gegen Nostalgie an. Geht es also darum, die Vergangenheit für die Gegenwart zu nützen?

Allen: Wenn man in der Gegenwart festhängt, muss man das Beste daraus machen. Nostalgie ist eine Falle. Man glaubt, alles war früher schöner. Aber dann fällt einem ein, dass es keine Schmerzmittel gab, wenn man zum Zahnarzt ging. Oder, schlimmer, dass Frauen im Kindbett starben.

STANDARD: Owen Wilson scheint keine naheliegende Wahl für einen Woody-Allen-Film.

Allen: Das dachte ich auch! Ich musste das Drehbuch für ihn umschreiben. Ursprünglich sollte die Figur mir gleichen. Owen ist ein Cowboy aus Texas, der in Hawaii lebt und Surfboards herumträgt. Ich kannte ihn aus Die Hochzeits-Crasher, ein lustiger Film, aber anders als meine Arbeiten. Würde man es glaubwürdig finden, dass er Picasso erkennt? Aber er hat es auf wunderbare Weise erfüllt.

STANDARD: Man hört immer wieder, wie wichtig die richtige Atmosphäre am Set von Komödien ist. Wie stellen Sie diese her?

Allen: Das geht nur, wenn man Schauspielern Freiheiten erlaubt. Ich sage zu ihnen stets, wenn ihr die eine oder andere Stelle nicht mögt, werfen wir sie heraus. Verwendet eigene Worte! Fügt etwas hinzu - es muss nur der Geschichte dienen. Wenn sie etwas ganz Falsches machen, spreche ich das an. Das passiert aber nicht oft.

STANDARD: Roberto Benigni, mit dem Sie einen Film in Rom drehen, wird wohl schwer zu bremsen sein.

Allen: Ich hege großen Respekt für ihn - und die Hälfte des Films wird ohnehin auf Italienisch sein! (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD - Printausgabe, 13./14./15. August 2011)