Einblick in das bewegte Leben hinter der Bühne: Mathieu Amalric als Impresario mit seinen bravourösen New-Burlesque-Tänzerinnen im preisgekrönten Spielfilm "Tournée".

Foto: Stadtkino

Wien – Die Spektakel auf der Bühne sind betörend direkt, ohne schlüpfrig zu wirken. Eine der Tänzerinnen hält einen abgehackten Arm in der Hand, der sich als äußerst lebendig erweist: Gierig beginnt er, ihren Körper zu betatschen. Eine andere schlüpft in einen lebensgroßen Ballon, in dem sie trotz ihrer Nacktheit fragil, ja einsam erscheint. Eine dritte tritt als Million-Dollar-Girl auf und zieht die Geldscheine fein aufgefädelt aus ihrem Hintern heraus. Die Namen der Damen sprechen für sich: Dirty Martini, Mimi Le Meaux, Kitten on the Keys.

Mathieu Amalric erzählt in seinem dritten Regiewerk Tournée von einer amerikanischen Truppe New-Burlesque-Tänzerinnen, die ihre sinnlich-ironischen Kunststücke erstmals in Frankreich aufführen. "Ich bin per Zufall auf einen Artikel über New Burlesque gestoßen", erzählt Amalric im Standard-Interview über seine Erstbegegnung mit dieser Kunstform. "Ich sah diese Körper und fühlte gleich eine Verbindung. Den Frauen geht es darum, sich durch Nacktheit zu befreien – aber eben mit Körpern, die wir alle haben. Körpern, die schön sind, weil sie eben nicht perfekt sind. Heutzutage geht es ja nur noch um Perfektion, zur Not auch mit Photoshop."

Gleichwohl ist Tournée, für den Amalric in Cannes 2010 mit dem Regiepreis ausgezeichnet wurde, kein Film über die Wiederbelebung dieses Varieté-Ablegers, sondern vielmehr einer über das Leben auf Tour, das strapaziöse Dasein im Backstage-Bereich wie die Kultur des Unterwegsseins. Ausgangspunkt war ein Tagebuch von Colette, in dem die Literatin und Performerin ihrerseits eine Tournee zu Beginn des letzten Jahrhunderts festhielt.

"Sie wollte eine Art erotische Pantomime aufführen", führt Amalric aus. "Es war ein Versuch der Selbstermächtigung mit dem Körper. Außerdem erzählt sie sehr schön von der Tour, der Müdigkeit und dem Fakt, dass man kein Zuhause hat." Es handle sich um Texte, in denen die Nacht gegenüber dem Tag vorgezogen würde, schwärmt er: "Colette blüht auf in der Nacht, der Morgen danach bringt Ernüchterung. Man sieht wieder wie Scheiße aus."

Amalric selbst kennt man im Kino freilich zuallererst als Schauspieler. Regelmäßig betört er in den Filmen von Arnaud Desplechin ("Arnaud hat mich erfunden, zum Schauspieler gemacht") mit feinnervigen Darstellungen komplizierter Männer, fördert auch kleinere Produktionen mit seiner Präsenz; international hat es der charismatische Mime bis zum Bond-Bösewicht gebracht (Casino Royale). Dass er nun auch in Tournée den Impresario spielt, der mit den Tänzerinnen in seine Heimat zurückkehrt, war jedoch eher ein Notmaßnahme.

"Ursprünglich habe ich bei der Rolle von Joachim Zand an den Filmproduzenten Paolo Branco, gedacht. Als sein Kollege und Freund Humbert Balsam Selbstmord begangen hatte, hatte ich solche Angst um ihn. Ich dachte, er würde mit der Arbeit aufhören, könne keine Filme mehr machen, weil es so ein Schock war." Ist die Figur des notorischen Einzelgängers, der bei seiner Flucht nach Amerika einst viel Scherben hinterließ, also als Reverenz an ein mutiges Produzententum gedacht, das für Künstler alles in Bewegung setzt?

Die Kraft der Produzenten

Amalric verneint: "Man macht keine Filme, um jemandem zu huldigen. Aber ich werde nie verstehen, wie ein Produzent solche Kraft aufbringen kann. " Was es ausmacht, dass man sich im Leben durchsetzt, sei demnach die zentrale Frage gewesen – auch gegen andere Vorstellungen von Erfolg. "Joachim kehrt zurück, beschützt von diesen Frauen um ihn. Es ist, als hätte er ihre Energie vampirisiert und könnte nun sagen: 'Seht her, ich bin viel lebendiger.' Menschen ändern sich doch von einer Minute auf die andere."

Dieses stete Fließen durch Gefühlshöhen und -tiefen gibt Tournée die Bewegung vor. Mitunter wirkt es fast dokumentarisch, wie Amalric die Künstler in Hotels, in Bussen und Zügen zeigt: Zustände eher als dramatische Entwicklungen, die an Arbeiten John Cassavetes' erinnern. Cassavetes sei ein Vorbild darin, wie er die Illusion des Dokumentarischen aufrechterhielt, die Arbeit dahinter zum Verschwinden brachte, so Amalric: "Um Ähnliches zu erzielen, haben wir eine richtige Tour gemacht, vor Publikum, gemeinsam in Hotels gewohnt. Das stellt von selbst etwas her." (Dominik Kamalzadeh/DER STANDARD, Printausgabe, 17. 8. 2011)