Wieder einmal macht betroffen, dass auch Terrorismus, der zu erwarten ist, nicht verhindert werden kann: Der ägyptische Sinai, besonders die nördliche Region, und damit die ägyptisch-israelische Grenze sind in den vergangenen Wochen kontinuierlich zur explosiven Zone angewachsen, und beide Länder, Ägypten und Israel, wussten dies.

Nicht näher definierte "militante Gruppen" hatten bereits kurz nach dem Umsturz in Kairo begonnen, auf dem Sinai die Gaspipeline nach Israel und Jordanien sowie Einrichtungen des Staates ins Visier zu nehmen. Spätestens Ende Juli, als nach dem Angriff auf eine Polizeistation und ein Büro der Eastern Mediterranean Gas Company in El Arish Flugzettel verteilt wurden, auf denen die Errichtung eines islamischen Staates gefordert wurde, kristallisierte sich der extremistisch-islamistische Hintergrund heraus. Die Terroristen signierten als "Al-Kaida auf dem Sinai" .

Die Beziehungen der Sinai-Gruppen zum Gazastreifen sind unklar, jedoch naheliegend. Es gibt dort auch noch radikalere Gruppen als die Hamas - deren Politbürochef Khalid Meshaal am Mittwochabend in Kairo den ägyptischen Außenminister traf. Für die Hamas hat Ägypten nach dem Sturz Hosni Mubaraks die Türen geöffnet, sehr zum Unbehagen Israels.

Es ist nicht so, dass Ägypten gar nichts tat, um den Sinai für sich selbst und für Israel zu entschärfen. Erst vor wenigen Tagen wurde dort eine Militäroperation gestartet. Was die "Operation Eagle" über das Militärische hinausgehend politisch so interessant macht, ist, dass in ihrem Rahmen Truppen- und Panzerverlegungen auf den Sinai stattfanden, die das im israelisch-ägyptischen Friedensvertrag (Camp David) Erlaubte für die 30-Meilen-Zone an der Grenze sprengen. Plötzlich scheint möglich zu sein, was Kairo zur Sicherung des Gazastreifens schon unter Mubarak vergeblich verlangt hatte: mehr ägyptisches Militär an der Grenze.

Von Israel und von Ägypten wird davon nicht viel Aufhebens gemacht. Für den das Land regierenden ägyptischen Militärrat ist es eine heikle Sache, in die Rolle hineinzurutschen, die dem gestürzten Mubarak von vielen Ägyptern und Arabern überhaupt vorgeworfen wurde: Israels Grenzpolizist zu sein. Andererseits richten sich die Angriffe ja auch oder vor allem gegen den ägyptischen Staat, nicht nur gegen den Nachbarn.

Und dann nimmt das Militär auch stillschweigend vorweg, was viele Ägypter verlangen: eine Revision des Camp-David-Vertrags. Für Israel wird sich deshalb die Frage stellen, wie lange diese Truppenpräsenz andauert - nach den Ereignissen von Donnerstag zu schließen, wird die ägyptische Armee ihre Zeit brauchen, bis sie die Situation wieder völlig unter Kontrolle hat. Und vielleicht will sie dann auch gar nicht mehr so schnell weg.

Im Moment schluckt Israel die Kröte der Camp-David-Verletzung: Einerseits um noch größere Gefahren von seiner Grenze abzuwenden, andererseits wohl auch, um die Beziehungen zum Militärrat zu verbessern. Für dessen Geschmack hatte Israel zu laut und zu lang seinem Verbündeten Mubarak nachgetrauert - der übrigens auch wegen Begünstigung Israels durch zu niedrige ägyptische Gaspreise vor Gericht steht.

Es ist nicht leicht für Israel, eine adäquate Reaktion zu finden, die all dem Rechnung trägt. Die Regierungen und Regime ändern sich; die Geografie, die eine Zusammenarbeit diktiert, nicht. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.8.2011)