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"Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat."

Frank Schirrmacher in der FAZ.

Foto: APA/Hochmuth

Mit den Weltanschauungen verhält es sich ein wenig wie mit dem Wetter. Stabile Lagen werden seltener.

In Deutschland ist es noch keine fünf Jahre her, da wurde großflächig eine "neue Bürgerlichkeit" beschrieben. Aus dieser ging recht nahtlos (und mit einem intellektuell belanglos gebliebenen liberalen Intermezzo dazwischen) der Aufstieg der Grünen hervor. Und nun wird schon von einem Comeback der Linken gesprochen. Dass diese Phänomene alle eng zusammenhängen, ist den meisten Beobachtern klar und verweist dabei auch zurück auf die historischen Ursprünge des Links-Rechts-Schemas in der Sitzordnung der Pariser Nationalversammlung.

Dort waren es ja auch die Bürger, die die fortschrittliche Fraktion bildeten, während der Adel für Restauration und Besitzstandswahrung eintrat. Vor dem Hintergrund der Forderungen, die aus den europäischen Revolutionen hervorgegangen waren, bekam die Frage nach der Notwendigkeit linker oder rechter Inhalte gerade um 1989 herum einen neuen Akzent: Denn mit dem "Sieg" der westlichen Lebensordnung konnte, wer wollte, die Ziele Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit als erreicht betrachten. Zudem hatten Westeuropa und die USA ein beachtliches Wohlstandsniveau erreicht, es gab also scheinbar gute Gründe, von einem "Ende der Geschichte" zu sprechen.

Das hätte wiederum auch ein Ende der Linken bedeutet, die ja (das ist einer der Unterschiede) Geschichte machen will, während die Rechte sich da lieber heraushält. Der Liberalismus, dem es ja entscheidend um das Ausmaß des Eingreifens in die Geschichte, bildet seit jeher den Dreh- und Angelpunkt für das Links-Rechts-Schema. Wenn nun ein konservativer Kommentator in England den Begriff "links" in den Mund nimmt, dann hat das gerade aus historischen Gründen eine stärkere Resonanz als etwa in Deutschland. Denn in der stärker polarisierten britischen politischen Kultur hatte man eine Weile geglaubt, auf dem "dritten Weg" (Anthony Giddens) einer marktliberal orientierten Sozialdemokratie das Denken in linken oder rechten Alternativen überwinden zu können.

Frank Schirrmacher hat nun in der FAZ im Grunde auf das Phänomen reagiert, mit dem wir es jetzt ein wenig überraschend wieder zu tun haben: Die Unterscheidung Links/Rechts, wenn sie denn eine strenge ist, ermöglicht Bekehrungen. Man kann die Seite wechseln, und nicht selten ist dies im 20. Jahrhundert passiert, wenngleich meist in die andere Richtung. Das hatte einerseits mit dem Staatssozialismus zu tun, der für viele Intellektuelle das ganze linke Ideengut in Misskredit brachte, andererseits mit dem Erregungshöhepunkt von 1968. Viele der damaligen Maoisten und Trotzkisten und Splitterkommunisten wollten später ihre radikale Phase nicht mehr anerkennen und wechselten geräuschvoll das Lager.

Dieser nicht selten etwas dumpfe Backlash gegenüber den Zielen von 1968 bildete zumindest in Deutschland den gefühlten Bodensatz der neuen Bürgerlichkeit, die nun das Gefühl entwickelt, dass ihr die nachhaltigen Lebensgrundlagen entzogen werden. Dieser Eindruck eines "Überfalls der Realität" (Robert Misik) verweist zurück auf ein entscheidendes Element des Unterschieds zwischen Links und Rechts: Die Analyse ist eher ein linkes Phänomen, also der Versuch, aus Erfahrungen Schlüsse zu ziehen und nicht einfach einen "Naturzustand" zu akzeptieren. Der italienische Philosoph Norberto Bobbio, der sich damit befasst hat (siehe unten), schreibt, dass wir ohne diese "großen Dichotomien" nicht auskommen. Das erleben wir gerade an der neuen, alten Debatte. (Bert Rebhandl, STANDARD-Printausgabe, 20./21.8.2011)