Der letzte arabische Revolutionär der politischen Nasser-Generation wird durch eine Revolution hinweggeschwappt. Es ist allerdings eine Revolution der besonderen Art, begonnen als lokaler Aufstand im vomRegime schlecht behandelten Osten des Landes, der sich durch eine - von der Nato aus der Luft unterstützte - Rebellenarmee in den Westen fortsetzte - mit angesichts des Widerstands wachsenden Zweifeln, ob dort die allermeisten diese Revolution auch wirklich wollen.

Die Gaddafi-Front hat erstaunlich lange, ein halbes Jahr, gehalten. Das System, für das die Loyalistenarmee kämpfte, hat seine Klienten ganz gut ernährt, dafür sorgte schon das libysche Ölgeld. Sie hatten viel zu verlieren. Bei einigen wird auch die Behauptung Gaddafis, dass in Libyen eine imperialistische oder eine Attacke Al-Kaidas - oder beides kombiniert, das geht in diesem Denken durchaus - abzuwehren ist, gegriffen haben.

Die Nato hat immerhin die Bedingung des Uno-Sicherheitsrats, keine "Eroberungsarmee" zu senden, strikt erfüllt, wenn auch zweifellos Kommandos aus Nato-Mitgliedsstaaten zuhauf auf libyschem Boden waren. Es wird sehr wichtig sein, dass sich der Westen sofort militärisch aus diesem Konflikt zurückzieht, sobald er politisch entschieden ist. Aufräumen müssen die Rebellen - dann Exrebellen - alleine. Allerdings sollte man sie das nicht ohne Beobachtung von außen tun lassen. Das Thema Menschenrechtsverletzungen wird auch für die Sieger auf den Tisch kommen müssten. Vertrauen ist nicht angebracht.

Nun geht es darum, die Post-Gaddafi-Ära mit einer Transitionszeit zu beginnen, die in ein möglichst demokratisches System führen soll. Analysten halten Libyen für schwer benachteiligt im Vergleich mit den beiden anderen Umsturzländern, Ägypten und Tunesien: In beiden Staaten gab es Strukturen und Institutionen, die zwar nur einer politischen Scheinpartizipation dienten, aber immerhin, sie sind da und können mit Leben gefüllt werden.

Oder jedenfalls stellte man sich das so vor. Ganz so leicht ist es nicht - gerade auch weil sich alte Strukturen als sehr beständig erweisen -, und vielleicht ist es für Libyen ja auch eine Chance, bei null beginnen zu können. In Gaddafis krauser politischer Welt des Grünen Buchs gibt es nichts, an das man anknüpfen kann.

Die Rebellen konnten, ähnlich wie die syrische Opposition heute, die Frage "Wer seid ihr eigentlich?" am Anfang nur schwer beantworten. Als eine Antwort jedoch nötig wurde - denn die Nato brauchte ja einen "Partner" -, schufen sie rasch einen professionell wirkenden Übergangsrat auf geografischer Basis sowie ein Exekutivkomitee. Zuletzt haben diese Organe einiges an Überzeugungskraft eingebüßt, es zeigten sich Brüche, die in Mord und Totschlag mündeten. Ob der Sieg nun als Kitt wirkt - oder ob die Opposition, die nun das gemeinsame Ziel verliert, daran zerbricht -, wird sich weisen. Die Stunde der Wahrheit naht.

Ebenso professionell wie im ersten Moment der Rat klingt dessen Plan für den politischen Übergang: Wahlen für ein Interimsparlament, das eine neu zu schreibende, durch ein Referendum zu legitimierende Verfassung verabschieden soll, danach die ersten verfassungsmäßigen Wahlen etc. Dieses an sich vernünftige Lehrbuch-Skript kann funktionieren, muss aber nicht: Im Irak führte es in den Bürgerkrieg, weil das Land für so komplexe politische Prozesse noch nicht reif war. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.8.2011)