Frei, poetisch: Dirigent Myung-Whun Chung.

Foto: Grafenegg

Grafenegg - Schön, Grafenegg, immer wieder ... Hitzeträge schunkelt man im Bus von Wien westwärts, und mit der wohltuenden Weite zum Wagram hin streckt sich auch das Gemüt. Nach einer meteorologischen Fopperei am Eröffnungsabend hat sich nun auch noch ein stabiles Hoch etabliert, die dreiwöchige Orchesterparade en plein air im Garten der Metternich-Sándors kann ihren Lauf nehmen. Die Namen der Teilnehmer (Pittsburgh Symphony, Israel Philharmonic, Seoul Philharmonic) sind heuer einen Tick weniger prestigeträchtig als letztes Jahr; mit den Wiener Philharmonikern und dem Concertgebouw-Orchester wird Anfang September de-luxe-mäßig finalisiert.

Das Seoul Philharmonic Orchestra etwa gibt es erst seit 2005; unter der Leitung des Gründers, Chefdirigenten und Messiaen-Experten Myung-Whun Chung eröffnete der (sehr junge, sehr weibliche) Klangkörper souverän mit einem frühen Messiaen, Les Offrandes oubliées. 1931 aus einer Fassung für zwei Klaviere entstanden, lässt der französische Solitär in diesem Triptychon religiösen Inhalts erahnen, in welche Richtung sich seine Tonsprache entwickeln wird (statische Harmoniefelder, vertrackte Rhythmen), aber auch, welche Quellen den jungen Komponisten damals inspirierten (spätestromantische).

Nach diesem ersten Appetizer der gemäßigten Moderne servierte Nikolaj Znaider mit Brahms' Violinkonzert den ersten Hauptgang der Abends: Konzentriert, streng gefasst, abgezirkelt gab der gebürtige Däne, ein Schüler Boris Kuschnirs, das wundervolle Werk. Jung und stolz stand Znaider da wie sein eigenes Denkmal, und der Adressat seiner äußerst klassischen Interpretation schien auch weniger ein menschliches Publikum als die ewige Gültigkeit zu sein.

Lediglich in den Überleitungen erlaubte sich der Geiger Freiheiten, nahm die Dynamik bis zum innigsten Flüstern zurück, drosselte das Tempo fast bis zum Stillstand - beglückend. Das Orchester folgte ihm bei seinen wenigen Ausritten aus dem Dressurgeviert der Konvention wie ein Schatten. Wie jedem jungen Klangkörper fehlte es den Koreanern mitunter noch an der letzten Feinabstimmung zwischen den Instrumentengruppen wie auch an herausragenden Orchestersolisten - nicht aber an Verständnis um die europäische Musiziertradition. Was nicht verwundert, wenn man von den vielen Studenten aus Fernost weiß, die in den letzten Jahrzehnten die Musikuniversitäten Europas und Nordamerikas stürmten und alle abendländischen Musikkulturinterna aufsaugten.

Frei, poetisch dann die Tuileries, virtuos das Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen, bedrohlich die Catacombae in Mussorgskis Bilder einer Ausstellung. In Summe schlugen sich die präzisen und engagierten Gäste in der (vor allem in den vorderen Reihen) schonungslos deutlichen Akustik des Wolkenturms wacker. Bei den Zugaben driftete der kulinarisch programmierte Abend in den Bereich "Wunschkonzert" ab: Rachmaninows Vocalise flutete die Gemüter der Zuhörerschaft mit Melancholie, Brahms' Ungarischer Tanz Nr.1 spülte diese mit einem satten Strom glutvoller Energie wieder weg. (Stefan Ender, DER STANDARD - Printausgabe, 23. August 2011)