Der Israeli Noam Sobel widmet sich der Erforschung des Geruchssinns und entwickelt dabei Kommunikations- und Bewegungs- hilfen für Behinderte.

Foto: Weizmann-Institut

Die Nase fristete lange Zeit ein Schattendasein. Vielleicht weil das Wegfallen des Geruchssinns den Menschen nicht so stark beeinträchtigt, wie blind oder taub zu sein. Vielleicht aber auch, weil olfaktorische Wahrnehmungen lange nicht so gut erforscht sind wie die Lichtstrahlen und Töne, mit denen Augen und Ohren konfrontiert sind. Die Wissenschaft kann sie weder exakt messen, noch ihre Intensität genau analysieren. Warum riecht zum Beispiel Rosmarin intensiv würzig, warum die Zitrone so frisch? Riechen Gewürz und Obst für alle Kulturkreise gleich?

Der israelische Neurobiologe Noam Sobel vom Weizmann-Institut sucht schon seit mehreren Jahren nach Antworten und ist an zum Teil kuriosen Experimenten beteiligt. In Berkeley in den USA schickte er als Gastprofessor Studenten mit verbundenen Augen und Ohren auf allen vieren auf die Spur einer Schokolade. Wie Hunde rannten sie los. Zunächst klebte man ihnen ein Nasenloch zu. Sie fanden das Ziel, nachdem sie einige Male von der Spur abgekommen waren. Mit beiden offenen Nasenlöchern, also stereo geschnüffelt, entdeckten sie die Schokolade rascher.

Die Forscher schlossen daraus, dass "räumliches Riechen" möglich ist - genauso wie räumliches Sehen und Hören - und waren doch einigermaßen überrascht: Sie hatten nämlich angenommen, dass genau das nicht funktioniert. Die Nasenlöcher liegen ja sehr nahe nebeneinander und haben damit nicht die Voraussetzungen der menschlichen Ohren, die Geräusche lokalisieren können.

Die riechende Maschine 

Noam Sobel und sein Team konnten noch eine weitere althergebrachte Annahme über das Riechen auf den Kopf stellen. Demnach hat die Tatsache, dass ein Mensch einen Geruch als angenehm oder unangenehm empfindet, nichts mit kulturellen Unterschieden zu tun.

Zunächst gaben 30 Personen ein Urteil über 50 Düfte ab. Mit dieser Information wurde ein Algorithmus für ein elektronisches System entwickelt, damit es völlig neue Düfte bewertet.

Die Technik war recht erfolgreich: Die Urteile deckten sich zu 80 Prozent mit jenen der aus Is-rael stammenden Testpersonen. Schließlich war aber auch die Einschätzung durch Einwanderer aus Äthiopien nicht anders. Deshalb geht Sobel davon aus, dass Geruchsempfinden prinzipiell nicht angelernt ist, sondern ausschließlich von der Molekülstruktur der Substanz abhängt.

Mit einigen Ausnahmen natürlich: Natto - schleimige, fädenziehende Bohnen, die übel riechen können - gelten unter vielen Japanern als Delikatesse. Surströmming-Hering, ein gärender Fisch aus der Dose, hat in Schweden nicht nur Fans, sondern auch erbitterte Gegner, die den Gestank nicht ertragen. Sobel weist auch darauf hin, dass kulturell bedingtes Geruchsempfinden vom Kontext abhängig ist. Soll heißen: Selbst Käseliebhaber aus Frankreich würden nie ein Parfum verwenden, das nach Roquefort riecht.

Alles, was in die Nasenlöcher kommt, trifft auf die Riechschleimhaut, wo ein Rezeptor ein Signal aussendet, das wiederum das Gehirn einordnen kann. Schnüffeln wird durch Kranialnerven gesteuert. Sie bleiben selbst bei starken Verletzungen und Lähmungen vom Hals abwärts, wie sie etwa der US-Filmschauspieler Christopher Reeve erlitt, gut erhalten.

Eine Funktionalität, die sich Sobel schließlich in einem vom European Research Council (ERC, siehe "Wissen") mit einem Advanced Grant geförderten Projekt zunutze machte. Er wandelte mit seinem Team die Nasenatmung in ein elektrisches Signal um, all das mithilfe eines mit Sensoren ausgestatteten Geräts, das den Atemdruck mittels Röhrchen misst. Die ersten Ergebnisse der Arbeit erschienen vor etwa einem Jahr im US-Fachmagazin PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences).

Vergangenen Freitag präsentierte Sobel im Congress Centrum Alpbach in Tirol schnüffelnd die Forschungsarbeit und die unterschiedlichen Methoden, wie die Apparatur eingesetzt werden kann. Sobel erzählte von der Arbeit: Zunächst waren Tests mit gesunden Menschen und mit 15 körperlich behinderten Patienten durchgeführt worden. "Über ein angeschlossenes Schreibprogramm erschienen Buchstaben auf einem Display. Die Probanden wählten beim Ausatmen jeweils einen Buchstaben aus."

Kontakt mit der Umwelt

Nur eine Person schaffte es nicht, mithilfe dieser Technik schreiben zu lernen. 20 bis 30 Sekunden dauerte es, bis ein Buchstabe geschrieben war. Trotz der Dauer war das Schreiben mit enormen Glücksgefühlen verbunden, wie berichtet wurde, weil sich einige der Patienten erstmals seit langem wieder mitteilen konnten.

Sogar Tests mit Patienten, die ein Beatmungsgerät brauchen, waren erfolgreich: Sie lernten schreiben, indem sie ihr Gaumensegel kontrollierten.

Danach wurde ein Programm entwickelt, mit dem die Betroffenen im Internet surfen oder E-Mails verfassen können. Schließlich setzte man die Schnüffeltechnik zur Steuerung eines Rollstuhls ein, wobei die Testpersonen allerdings mehr tun mussten als davor: Um das Fortbewegungsmittel für Schwerbehinderte nach vorn oder nach hinten, nach links oder nach rechts zu bewegen, waren jeweils zwei Atemstöße notwendig.

Auch hier konnte Sobel von einer Erfolgsstory berichten: Ein Querschnittgelähmter konnte nach nur kurzer Übungszeit seinen Rollstuhl so bewegen, wie es die Wissenschafter vorexerziert hatten. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.08.2011)

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Wissen: Förderagentur für Europa


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Zwei Förderprogramme wurden dafür eingerichtet: Starting Grants gehen nach Juryentscheidung an herausragende Nachwuchswissenschafter für die Abwicklung ihrer Projekte, die Advanced Grants sind für international renommierte Forscher reserviert - vergleichbar mit dem Wittgenstein-Preis des Wissenschaftsfonds FWF. Hier wird mit Geldern des Wissenschaftsministeriums Spitzenforschung in Österreich gefördert. Die ERC-StartingGrants sind mit bis zu 1,5 Millionen Euro über fünf Jahre dotiert, die Advanced Grants mit maximal 2,5 Millionen Euro über den gleichen Zeitraum. Seit 2010 ist die österreichische Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny Präsidentin des Europäischen Forschungsrates. (red)