Mündet unter dem südamerikanischen Megastrom Amazonas noch ein zweites Süßwasservorkommen in den Atlantik? Forscher aus Brasilien wollen Hinweise dafür gefunden haben.

Foto: NASA

Der Amazonas ist nicht nur der - gemessen an den Wassermassen - größte Fluss der Erde. Er hat auch ein unterirdisches Alter Ego, wie brasilianische Forscher des Observatório Nacional do Brasil entdeckten. Demnach existiert ein zweiter "Strom" namens Hamza bis zu 4000 Meter unter der Oberfläche, der sich seinen über 6000 Kilometer langen Weg von den Anden bis zum Atlantischen Ozean bahnt.

Hamzas Ursprung liegt in den Höhen der peruanischen Anden, im selben Gebiet, wo auch der Amazonas herkommt. Insgesamt würden beide maximal 100 Kilometer in ihren Gesamtlängen trennen, was den Hamza unbestrittenermaßen zum längsten, unterirdischen "Fluss" der Erde küren würde.

Aber ob Hamza, benannt nach seinem Entdecker, dem Geophysiker Valiya Mannathal Hamza, als "Fluss" klassifiziert werden kann, bezweifelt selbst der Namensgeber. Dennoch hat dieser seine Erkenntnisse vergangene Woche unter dem Titel "Hinweise auf einen unterirdischen ,Fluss' unter dem Amazonas" beim Internationalen Geophysik-Kongress in Rio de Janeiro präsentiert. Wie Hamza der BBC sagte, habe man dem Begriff Fluss "mehr im abstrakten als im geläufigen Sinne" verwendet.

Die Fließgeschwindigkeit des Tiefenstromes ist nämlich weit geringer als die seines oberirdischen Zwillingsgewässers. Der Amazonas legt immerhin zwischen 0,1 und zwei Meter pro Sekunde zurück. Der Hamza lediglich zwischen zehn und 100 Meter im Jahr. Das macht ihn langsamer als so manchen Gletscher. Mit 3000 Kubikmeter in der Sekunde bewege der Hamza zwar nur einen Bruchteil des Amazonas selbst (133.000 Kubikmeter/Sekunde) - aber dennoch mehr als manch anderer Fluss, wie Olivar Lima, Geologe der Universität Bahía anmerkt.

Basis der Entdeckung sind die ab den 1970er-Jahren über zwei Jahrzehnte vom Erdölkonzern Petrobras durchgeführten Sondierungen. Anhand von 241 Bohrlöchern in der Amazonas-Region sowie der Becken seiner Zuläufe, wie der Flüsse Acre, Solimoes oder Marajó, konnte das Team um Hamza durch Schwankungen in der Temperatur Hinweise auf die unterirdischen Wassermassen finden.

Herbe Kritik übte jedoch Petrobras-Geologe Jorge Figueiredo: "Der Begriff 'Fluss' muss aus der Forschungsarbeit gestrichen werden." Und entgegen den Daten Hamzas, der von einem wichtigen Süßwasserspeicher spricht, sei Tiefenwasser stets "sehr salzhaltig". Es sei zudem höchst unwahrscheinlich, dass das Wasser die Gesteinsmassen nahe dem Atlantikufer am kontinentalen Hang überhaupt durchbrechen könne.

Die beteiligten Forscher um den Geophysiker Hamza vermuten hingegen, dass auch der "Parallelstrom" des Amazonas nahe der Mündung den Atlantik speist. Denn knapp 200 Kilometer abseits des riesigen Deltagebietes im Ozean sei dessen Salzgehalt deutlich geringer. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.08.2011)