Gibt es einen Ausweg aus dem Konflikt zwischen Kirchenleitung und Pfarrerinitiative, der weder zu einer Kirchenspaltung führt noch zu dem, was der Theologe Paul Zulehner einen "pastoralen Crash" nennt? Ich denke, es gibt zumindest einen Ansatz dazu und einen, der sich noch dazu biblisch begründen lässt. Kurz zusammengefasst: Man kann die geltenden Normen stehen lassen, aber trotzdem, wenn man gute Gründe hat, außerhalb dieser Normen handeln und sich auch dazu bekennen.

Im Matthäusevangelium wird Jesus, der loyale Jude, mit dem Wort zitiert, dass "nicht ein Jota und nicht ein Häkchen des Gesetzes vergehen" sollen. Und nicht weit dahinter steht die Episode, in der Jesus zulässt, dass seine hungernden Jünger am Sabbat Ähren ausrupfen und die Getreidekörner essen. Und eine weitere, in der er am Sabbat einen Kranken heilt. Die Pharisäer stellen ihn deshalb zur Rede und hören: "Es ist erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun", samt dem alttestamentlichen Zitat "Erbarmen will ich, nicht Opfer". Bei Markus steht dieselbe Geschichte, mit der Pointe: "Der Sabbat ist um des Menschen willen da und nicht der Mensch um des Sabbats willen." - Auf die aktuelle Situation bezogen könnte das heißen: Die Ehe zwischen Mann und Frau, die bis zum Tode währt, ist eine gute Sache. Sie soll auch weiterhin als Norm gelten. Aber es gibt auch Situationen, in denen es gut ist, eine Ehe zu beenden oder überhaupt eine andere Lebensform zu wählen. Und dann soll man auch nicht auf die Sakramente der Kirche verzichten müssen. Man kann auch durchaus an der Norm festhalten, dass in der Kirche der Pfarrer predigt. Das ist schließlich sein Beruf. Nicht jeder und jede muss routinemäßig Predigten halten. Aber wenn ein Laie einmal wirklich etwas zu sagen hat, dann soll er oder sie das auch in der Sonntagsmesse tun dürfen.

Beim Zölibat ist es schwieriger. Aber auch da könnte man sagen: Der ehelose Priester ist die Norm, der verheiratete oder der, der in einer Beziehung lebt, ist die begründete Ausnahme. Und die Frauen? Priesterinnen weihen kann man nicht ohne Bischöfe. Aber man kann ihnen jede andere kirchliche Aufgabe anvertrauen, wie es zum Teil ja schon geschieht, inklusive Seelsorge und Gemeindeleitung.

Die Pfarrerinitiative sagt: Wir wollen offiziell verbrieft haben, was wir ohnehin täglich tun. Wir wollen nicht länger hinnehmen, dass zwischen der Realität und einem überholten und gestrigen Kirchenbild ein Abgrund klafft, den man aber nicht benennen darf und über den man sich mit einer fragwürdigen Doppelmoral hinwegschwindelt. Mit dem Reizwort "Ungehorsam" hat sie jetzt die Kirchenleitung zum Reagieren gezwungen.

Das Jesus-Beispiel könnte dieser einen Anhaltspunkt geben. Der Wiener Erzbischof kann nicht das Kirchenrecht aus den Angeln heben. Aber er könnte bekräftigen, dass man auch außerhalb geltenden Kirchenrechts christlich leben kann. Das wäre keine schlamperte "österreichische Lösung" und kein verlogener Doppelstandard. Sondern eine menschliche und christliche Lösung. Auch dann, wenn sie manchen Reformpfarrern nicht weit genug ginge und manchen vatikanischen i-Tüpfelreitern zu weit. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.9.2011)