Musik von den Rändern der Rock-'n'-Roll-Gemeinde, wo Hasil Adkins über den Zusammenhang von fleischlichem Begehren und abgetrennten Hühnerköpfen gesungen hat.

Foto: Voodoo Rhythm Records

Das traurigste Lied aller Zeiten zu überbieten geht sich natürlich nicht aus. Also trägt My Son Calls Another Man Daddy von Hank Williams diesen Titel weiterhin, knapp gefolgt von Wedding Bells aus derselben Feder. Aber der bohrende Kummer, der Delaney Davidsons Herz bluten lässt, reicht an die Kunst des früh verstorbenen Williams heran. Auf dem Album Bad Luck Man konzentriert Davidson das gesammelte Ungemach existenzieller Angelegenheiten. Bereits am Cover hakt er alles ab, was einem im Leben Halt geben sollte: Erfolg? Lächerlich. Familie? Tot und davon. Gesundheit? Gerade genug, um zu leiden. Nix zum Fressen, keine Liebe, kein Geld, keinen Glauben, keinen Gott. Wie Buster Keaton nach einer Nacht im Unterholz steht er da, weit davon entfernt, der selbst aufgestellten Behauptung zu entsprechen, dass jeder Mann eine Knarre und eine Braut brauchte.

Unglück - und sei es nur gut dargestellt - war immer ein dankbarer Nährboden für die Kunst. Zu romantisch ist das Klischee des waidwunden Künstlers, der ohne von der Welt erkannt zu werden Großes schafft. Darum blenden wir das Sein bereitwillig aus, wollen gar nicht wissen, wie viel das frühere Mitglied der Schweizer Kombo Dead Brothers auf seinem Nummernkonto bunkert, sondern halten uns fest an den Falten seines verbeulten Anzugs, lauschen seinem angekränkelten Idiom, klammern uns an den Schein. Und wie bestellt weint die Gitarre, erklingt das Lied vom Fluss des Lebens, das hier ein River of Misery sein muss. Einer dieser zerzausten Bastarde, die Davidson mit großer Verve zusammenhält.

Delaney Davidson veröffentlicht auf dem Label Voodoo Rhythm Records. Das ist ein verhaltensauffälliger Musikverlag, mehr noch ein Auffanglager für schwer vermittelbare Existenzen von den Rändern der Rock-'n'-Roll-Gemeinde. Dort, wo singende Mutterschänder an Trommeln mit Fellen unbestimmter Herkunft Triebstau nur unzureichend abbauen. Wo Mutter und Vater mitunter Bruder und Schwester sind, wo man trinkt, womit man sich die Wunden der Feldarbeit desinfiziert, wo Hasil Adkins ein Leben lang über den Zusammenhang von fleischlichem Begehren und abgetrennten Hühnerköpfen gesungen hat. Mit Adkins hat Davidson gemein, dass er alle Instrumente selbst spielt - jedoch mit dem Unterschied, dass er nicht versucht, sie alle zur selben Zeit zu spielen.

Auf Voodoo Rhythm veröffentlichen Bands mit feinfühligen Namen wie Pussywarmers, The Guilty Hearts, Thee Butchers' Orchestra oder der nur mit geschlossenem Vollvisierhelm das Haus verlassende Bob Logg III. Es ist "Music to ruin any Party", wie das Label sie nennt. Soziale Kompetenz muss die Künste nicht kümmern. Es ist eine heitere Forschung am Abgrund der menschlichen Psyche, die Voodoo Rhythm in die Gestalt von Tonträgern presst.

Manches davon leidet am Mangel einer emotionalen Grundausstattung. Nur deppert die Eins am Schlagzeug dreschen ist dann doch zu wenig, um Aufmerksamkeit jenseits der Selbsthilfegruppe zu erregen. Davidson macht hier den Unterschied. Nach einem Wort von Dolly Parton - "you have no idea how much it costs to look so cheap" - verwendet er viel Sorgfalt auf seine schwindsüchtigen Feger. Seine countryesken Betrachtungen besitzen Seele. Da taucht etwa in I'm So Depressed hinter der Lead-Gitarre ein Bläsersatz auf, der dem Stück jenes Fett verpasst, dass unmöglich vom darin beschriebenen Verzehr von Grashüpfern stammen kann.

Außerdem führt Davidson das jedem ernstzunehmenden Rockabilly-Entwurf innewohnende Punk-Moment nicht wie einen Bluthund Gassi, sondern erhöht nur dann Geschwindigkeit und Schärfe, wenn es konveniert: Amok mit Hirn und Herz. Dazwischen zwitschert er schwermütige Balladen und schlurft durch trübe Gedanken.

Bei aller Schuld, die Davidson dabei auf seine schmalen Schultern lädt, ist das dennoch eine sehr unschuldige Musik. Sie beschwört eine Zeit, als der Gang ins nächste Dorf noch eine Tagesreise bedeutete, als Elvis noch einen Lastwagen fuhr und man sich vor wichtigen Entscheidungen (Bankraub, Hochzeit, Fahnenflucht ...) ins Gras legte und mit Blick gen Himmel an einem Strohhalm kaute. Es ist der Keim dessen, aus dem später Figuren wie Tom Waits ihre künstlerischen Identitäten errichtet haben: Erfolgreiche Kunstleider mit Melone am Kopf und Gedichtband im Sakko.

Davidson verzichtet auf die Überführung dieser primatischen Kunst in die Gefilde höheren Anspruchs: "When you're up, you know you're up / when you're down, you know you're down." So einfach ist das. (Karl Fluch  / DER STANDARD, Printausgabe, 16.9.2011)