Rote Verkehrsministerin diskutiert mit dunkelrotem Verkehrsnostalgiker: "Reisen auf der Straße ist heute so, wie Menschen Todeserlebnisse schildern."

Foto: Der Standard/Cremer

"Die Regierung macht mit den Medien ihren Frieden, indem sie um Unsummen Werbung schaltet."

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"Wenn es wahr wäre, dass ich mir Wohlwollen erkaufe, stünde ich in Rankings ganz oben."

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Standard: Herr Podgorski, Sie sind Flieger, Reiter und Radfahrer, Bahn-Kunde und Oldtimer-Freak. Aus welcher Perspektive ist das Land am schönsten?

Podgorski: Aus der Luft, denn Reisen auf der Straße ist heute so, wie Leute Todeserlebnisse schildern. Wie ein automatisierter Trottel fährt man durch einen Schlauch von Schallschutzwänden, auf denen zum Beispiel Mostviertel steht - doch die Landschaft sieht man nicht. Dabei sind viele dieser Wände unnötig, die schützen Kröten und Osterhasen. Daran muss jemand unglaublich verdienen.

Bures: Wir verschandeln die Gegend ja nicht nach Lust und Laune um teures Geld, sondern richten uns nach Schwellenwerten für gesundheitsschädliche Lärmbelastung. Nach den aktuellen Richtlinien würden wir mancherorts vielleicht keine Wände mehr bauen, aber wenn dort Menschen leben, reißen wir auch keine nieder. Doch es ist uns zum Beispiel gelungen, vor Melk transparente Planken aufzustellen.

Podgorski: Stift Melk durch ein Präservativ ist eine halbe Sache.

Bures: Dieses Problem wird sich lösen. Sie werden noch erleben, dass Lärmschutzwände dank leiser Motoren überflüssig sind.

Podgorski: Den Lärm verursacht doch das Rollgeräusch. Aber abgesehen davon: Mich fasziniert Ihre Aufgabe. Teilhard de Chardin, mein jesuitischer Lieblingsanthropologe, dessen Bücher auf dem päpstlichen Index stehen, schreibt, dass die Evolution - ich tu jetzt herumg'scheiteln - nicht nur physiologisch voranschreitet. Der Mensch macht sich, was er braucht: Flügel zum Fliegen, Unterseeboote zum Tauchen. Frau Minister, Sie verwalten meine evolutionären Möglichkeiten!

Bures: Wobei der Mensch heute aber einen neuen Aspekt mitbedenken muss: Es geht nicht mehr nur um die Frage, wie ich von A nach B komme, sondern auch darum, wie umweltfreundlich.

Standard: Hat da nicht ein Verkehrsminister nach dem anderen versagt? Alle haben versprochen, den Verkehr auf die Schiene zu verlagern - gelungen ist wenig.

Bures: Das ist falsch. Reden wir über meine Bilanz: Wir investieren doppelt so viel in den Ausbau der Schiene als in das Straßennetz.

Standard: Das heißt nicht, dass die Verlagerung auch stattfindet.

Bures: Schon jetzt rollen 30 Prozent des Güterverkehrs, so viel wie in keinem anderen EU-Staat, über die Schiene - durch den Ausbau werden 40 Prozent möglich. Von Wien nach St.-Pölten-Zentrum wird man dank des Lainzer Tunnels 25 Minuten brauchen, nach Klagenfurt in Zukunft zwei Stunden, 40 Minuten. Ich hoffe, das versucht niemand mit dem Auto.

Podgorski: Ist der Zeitgewinn so wichtig, dass man dafür so viel Geld ausgibt? Den Koralmtunnel halte ich zum Beispiel für obsolet.

Bures: Allein, ja. Aber nicht, wenn ich die ganze Südstrecke ausbaue.

Podgorski: Das ist doch ein Erpressungstunnel und symptomatisch dafür, wie sich die Regierung von den Ländern tyrannisieren lässt.

Bures: Den Koralmtunnel haben der Herr Haider und die Frau Forstinger vereinbart, aber nicht die Frau Bures. In meiner Zuständigkeit gab es kein einziges Projekt auf Zuruf. Im Gegenteil, wir haben Projekte redimensioniert: Nicht jede Umfahrungsstraße muss eine Autobahn sein. Wir brauchen im Ministerium ja auch keine goldenen Türschnallen.

Podgorski: Attraktiv kann die Bahn nur werden, wenn sie Komfort und Obsorge bietet. Doch ich fühle mich alleingelassen. Früher gab es die echten Eisenbahner mit Kappl, die sich um die Passagiere gekümmert haben. Heute wird man von Automaten herumgereicht - schrecklich! Oft kann man im Zug nicht einmal mehr eine Fahrkarte kaufen.

Bures: Auf der anderen Seite höre ich immer, es gibt zu viele Eisenbahner, die gehören alle außeg'haut. Statt 60.000 Menschen beschäftigen die ÖBB heute eben nur mehr 42.000. Jetzt geht's aber um Einsparungen in der Verwaltung und nicht mehr bei Dienstleistungen.

Podgorski: Dreimal ist mir schon passiert, dass sämtliche Häusln im Zug zugesperrt waren! "Wahrscheinlich sind's dreckig", lautete die lapidare Auskunft. Vor dem einzigen benutzbaren Klo gab es eine endlose Schlange.

Bures: Ich habe mir diese berühmten Häusln sogar angeschaut ...

Podgorski: ... und sie vermutlich auch nicht aufgebracht.

Bures: Es ist leider so, dass lange nicht in neue Wagons investiert wurde. Aber nun wird jeden Monat eine ganze ausrangierte Zuggarnitur durch eine neue ersetzt. Ich habe auch den Eindruck, dass der Gedanke der Kundenfreundlichkeit in die Köpfe des neuen Managements eingedrungen ist. Die Pünktlichkeit der ÖBB liegt bereits bei 97 Prozent.

Standard: Kaum zu glauben bei den vielen Klagen, die man so hört.

Bures: Schimpfen ist manchmal auch eine Ausrede. Umfragen zeigen: Regelmäßige Zugfahrer sind mit der ÖBB viel zufriedener als jene, die nie mit der Bahn fahren.

Standard: Vielleicht muss man die Leute mit einer kilometerabhängigen Maut auf allen Straßen zum Umsteigen zwingen.

Bures: Wir haben bereits die Lkw-Maut ökologisiert, weshalb die alten Lkws, die am meisten stinken und lärmen, mehr zahlen. Für Pkws reicht mir die Autobahnvignette. Dank der Katalysatorpflicht gibt es keine Stinkerautos mehr, Oldtimer ausgenommen.

Podgorski: Ich fahre so ein Stinkerauto, einen Jaguar XK 150S, Baujahr 1958. Aber der Jaguar stinkt herrlich.

Standard: Sind Sie eigentlich Sozialdemokrat, Herr Podgorski?

Podgorski: War ich nie!

Bures: Schade.

Podgorski: Mir sind die Sozialdemokraten zu weit rechts.

Standard: Wie wird man ausgerechnet als Zögling eines Benediktiner-Gymnasiums zum Linken?

Podgorski: Gerade dort wird man das, durch Anleitung zum kritischen Denken. Wir sind in Admont sehr liberal erzogen worden. Rausgeflogen bin ich, weil ich mit anderen subversiv gegen das miese Essen protestiert hatte und zu einem atheistischen Wirten ging. Bei den folgenden Schauprozessen haben sich alle entschuldigt - nur ich nicht.

Standard: War der Vorname Judas auch ein Handicap?

Podgorski: Nein, das waren keine Antisemiten. Außerdem stammt mein Name nicht vom angeblich bösen Judas Ischariot, sondern von Judas Thaddäus, einem Cousin des Herrn - das bin ich!

Standard: Warum sind Sie eine Linke geworden, Frau Ministerin?

Bures: Ich bin als Tochter einer Alleinerzieherin mit fünf Geschwistern am Stadtrand aufgewachsen und habe am eigenen Leib erlebt, dass Geldsorgen viele Wege versperren. Dank der Kreisky-Regierung habe ich zur ersten Generation gehört, die kein Schulgeld zahlen musste, trotzdem konnte meine Mutter nicht sechs Kinder bis zur Matura durchfüttern. Damit war klar, dass alle mit 15 eine Lehr' anfangen und Wirtschaftsgeld heimbringen. Den Beruf der Zahnarztassistentin konnte ich mir aussuchen, aber eine andere Frage hat sich nicht gestellt. Meine Mutter hat oft nicht gewusst, mit welchem Geld sie Lebensmittel einkaufen soll. Daher die tiefe Überzeugung: Man darf über soziale Verhältnisse nicht nur matschgern, sondern muss versuchen, sie zu ändern.

Standard: Nehmen Sie diesen Anspruch der SPÖ heute noch ab?

Podgorski: Noch am ehesten von allen Parteien, aber zu wenig. Die Sozialdemokraten stellen sich oft nicht als solche dar. Der gute Wille mag da sein, aber sie scheitern mir zu schnell am Koalitionspartner. Die Vermögenssteuer kommt, wenn sie überhaupt kommt, viel zu spät.

Bures: Die Vermögenssteuer müsste längst da sein - aber sie wird kommen. Man darf bei allen Mühen das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Als ich als Frauenministerin einen Mindestlohn forderte, hat niemand daran geglaubt - heute gibt es ihn. Der nächste Schritt muss eine Erhöhung sein, damit Frauen davon leben können.

Podgorski: Aber es glaubt Ihnen ja niemand. Die Leute glauben's nur dem Strache, wenn er sagt, er tut etwas für die Armen.

Bures: Deshalb werden wir nicht locker lassen, es zu erklären.

Standard: Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina wirft der SPÖ vor, sie lasse sich vom Boulevard die Schlagzeilen diktieren. Wie sehen Sie das als Medienmensch?

Podgorski: Da hat ein merkwürdiger Prozess eingesetzt. Früher kam es vor, dass Zeitungen Politiker um Inserate erpresst haben, indem sie mit schlechter Bericht erstattung drohten. Jetzt lässt es die Regierung gar nicht so weit kommen, sondern macht im Voraus ihren Frieden mit den Medien, indem sie um Unsummen Werbung schaltet.

Standard: Kanzler Werner Faymann soll sogar die ÖBB gedrängt haben, Inserate zu schalten.

Podgorski: Die SPÖ betreibt eine Politik der Medienzufriedenstellung, die sich am Rande der Korruption bewegt.

Bures: Das weise ich auf das Schärfste zurück. Wenn es wahr wäre, dass ich mir mit Inseraten mediales Wohlwollen erkaufe, dann müsste ich in den Politiker-Rankings ganz oben stehen und nicht bloß im Mittelfeld.

Podgorski: Unlängst habe ich in News wieder eine doppelseitige Einschaltung von Ihnen über irgendeine visionäre "Smart-City" entdeckt, so etwas kommt finanziell nicht zu Fuß. Ich bin für ein Verbot derartiger Inserate, weil sie unmoralisch sind.

Bures: Ich sage Ihnen, warum ich das mache: Mir geht's um die Vermittlung wichtiger Botschaften, nicht nur im Bereich Forschung. Kampagnen gegen Alkohol am Steuer oder für die Radhelmpflicht sind gut investiertes Geld.

Standard: Sie flogen 1959 wegen eines kritischen Berichts über den persischen Schah aus dem ORF ...

Podgorski: ... was mir damals der sozialdemokratische Vorgesetzte so erklärt hat: "Nehmen S' Platz, ich möcht Ihnen nur sagen, ich muss Sie außehauen." Warum? "Sonst haun s' mi auße. Aber machen Sie sich nichts draus, durch ein Hintertürl kommen S' wieder eine." So war es dann auch.

Standard: Hat sich im ORF im Prinzip etwas geändert?

Podgorski: Nein, überhaupt nicht. Aber ich muss Generaldirektor Alexander Wrabetz beglückwünschen, dass er erst die Angriffe und dann die Umarmungen ausgehalten hat. Die SPÖ hat ihm eine Mehrheit organisiert, die ÖVP hat sich beeilt, schnell auch ihre Claims abzustecken. Das Ganze ist natürlich grauslich, doch eines freut mich daran: Es ist so offensichtlich wie selten zuvor, dass der ORF der Koalition gehört. (Gerald John, DER STANDARD; Printausgabe, 17./18.9.2011)