Foto: Camper
Foto: Camper
Foto: Camper
Wenn Lorenzo Fluxá auf seiner Heimatinsel Mallorca einen Strand entlangschlendert und im Sand einen von Wellen angeknabberten Schriftzug entdeckt, weiß er, ein Kunde ist nahe. Nicht ohne Stolz zeigt der Enkel von Schustern und Sohn eines Schuhfabrikanten auf die flüchtige Spur seiner Arbeit. Seit Lorenzo junior die Sohlen vieler Modelle aus seiner Schuhfertigung mit witzigen Sprüchen schmückt, findet nicht nur er Gefallen daran, die als Abdruck im Sand zurückgebliebenen Schuh-Botschaften zu entziffern. . .

Camper-Träger erkennt man keineswegs von weitem. Die Modelle aus der Designabteilung in der Ortschaft Inka im mallorquinischen Hinterland, in der nicht weniger als 170 Personen in Entwurf, Marketing und Vertrieb werken, lassen sich ebenso gut zur kurzen Hose des Strandläufers wie zum Arbeitsanzug für den Gang zur Vorstandssitzung kombinieren. Camper lässt sich von keiner Bewegung vereinnahmen, sondern schwimmt am Puls der Zeit, wenn nötig auch gegen den Mainstream - so könnte ein Werbetexter das Geheimnis des erstaunlichen Erfolgs der Schuhe aus Mallorca resümieren. Dass er weder der Alternativkultur diene, noch zum Accessoires-Lieferanten schicker Jugendlicher verkannt werden will, hält Fluxá mit Hinweis auf die Familientradition fest.

Schon Großvater Antonio hatte 1877 die Sohlen seiner ersten Schuhmodelle selbstbewusst mit einem Schriftzug versehen: "Solides Schuhzeug. Der Beweis bringt Erfolg". Ahn Antonio, der die Marke "Zapatos A" kreierte, hat Erfahrungen und Kenntnisse an den Sohn weitergegeben. Lorenzo senior baute die geerbte Schuhfabrik aus, gab seinen Kreationen den fashionablen Namen Lotusse und den Ruf gediegener Handwerksqualität mit auf den Weg. Sein ältester Sohn Antonio pflegt noch heute dieses Markenzeichen für gehobene Ansprüche, während der Zweitgeborene in der Reise- und Tourismusbranche von Palma de Mallorca erfolgreich tätig ist. 1975 schlug die Geburtsstunde des jüngsten Ablegers im Hause Fluxá.

Der aufmüpfige dritte Spross wollte sich mit einer Schuhkreation dem damals verpönten Brauchtum seiner Heimat nähern und entwarf einen Schuh in der Tradition strapazfähiger Fußbekleidung mallorquinischer Kleinbauern, ganz ein Abbild der Mühsal in staubiger Scholle. Just im Jahr, das das Ende der Franco-Diktatur brachte, hat auch das unansehnliche Modell Camaleon das Licht der Schuhwelt erblickt: aus grobem Leinen, wenig Leder und - zum blanken Entsetzen der auf hehre Handwerkskunst bedachten Familie - aufbereiteten Autoreifen! Das inzwischen weiter entwickelte und leicht verfeinerte Stück begründete den Erfolg der neuen Marke "Camper" (was in der Sprache der Insulaner schlicht für "Bauer" steht).

Die Besinnung auf die Wurzeln, der Respekt vor den Materialien und der schonende Umgang mit Naturressourcen sind Konstanten in der Camper-Produktion geblieben. Die Philosophie der Marke, eine skurrile Mischung aus Öko-Retro-Schick, die von Firmengründer "Don Lorenzo" gemeinsam mit dem inzwischen aus dem Unternehmen ausgeschiedenen Designer Guillem Ferrer entwickelt wurde, fand in den "Pelotas" ("Bälle") ihre Krönung. Das alten Schnürschuhen aus Rugby- und Fußballbewerben nachempfundene Modell mit seiner rundbauchigen Kappe wird inzwischen in den Camper-Fabriken auf Mallorca und der Mittelmeerküste Valencias, in Portugal und Marokko in allen erdenklichen Farben und Ausführungen gefertigt.

Mit den Pelotas setzte die Manufaktur aus Inka zur Eroberung internationaler Märkte an. Innerhalb der vergangenen fünf Jahren wurde die Produktion ums Fünffache gesteigert. 3,5 Millionen Camper-Paare finden Jahr für Jahr weltweit Absatz, womit ein Verkaufserlös von 150 Mio. Euro gesichert ist. Angesichts des geschäftlichen Erfolgs wirkt die Beschreibung des Firmenchefs, der die Arbeitsweise bei Camper als "auf bewährten, althergebrachten Ideen aufbauend" charakterisiert, fast schon kokett.

Lorenzo Fluxá wehrt sich mit Kräften dagegen, dass Camper als "Modemarke" beschrieben wird. In eigenen Camper-Shops wird inzwischen in Großbritannien, Deutschland, den USA und Mexiko versucht, dem Kunden mit jeder Schachtel Schuhe auch das Weltbild von Fluxá zu vermitteln. Vom Fabrikanten zum Förderer sozialer Projekte ist es für ihn konsequenterweise nur ein kleiner Schritt.

"Essbare Gärten", die der Mittfünfziger als Bindeglied zwischen den sozialen und ökologischen Projekten seines Unternehmens sieht, wurden bereits in mehreren Schulen verwirklicht - im heimatlichen Inca, in Madrid, Barcelona und Rom: Grünanlagen, die auf geringsten Wasserverbrauch ausgelegt und so bepflanzt sind, dass je nach Jahreszeit nicht nur Schattenspender wachsen, sondern auch Früchte zum persönlichen Verzehr anfallen. In den Schulen betreuen Kinder zwischen drei und sieben Jahren die "essbaren Gärten" und sollen auf diese Weise nahezu spielerisch den Umgang mit Natur und Pflanzen erlernen. Die von Campers Gartenarchitekten entworfenen Gartenanlagen werden später von den Schülern in Eigenverantwortung gepflegt.

In Son Fortesa, einem restaurierten Landgut aus dem XVI. Jahrhundert, experimentieren Fachleute an der Umsetzung von traditionellen, die Umwelt schonenden Bepflanzungs- und Ernteverfahren. Gäste gehen ein und aus und sind stets willkommen. Trotz der Idylle, die auf Son Fortesa vorherrscht, sieht Fluxá sich immer wieder gefordert, den brillanten Erfolg als Unternehmer vor den Mitmenschen zu rechtfertigen. Ob er deshalb für seine jüngste, bisher radikalste Idee den Namen Wabi, eine Abkürzung des japanischen Ausdrucks Wabiru ("Um Entschuldigung bitten"), gewählt hat?

Mit Wabi verbindet der mallorquinische Schuh-Schöpfer eine intime Fußbekleidung, die man mit niemandem teilen würde. Zu Wabi gehören der ausschließlich für Innenräume gestaltete, aus natürlichen Materialien und einer recycelten Sohle bestehende Hausschuh, sowie die dazu passenden Baumwoll-Socken.

"Rustikal und einfach, bescheiden, ohne Firlefanz, einfach nach innen gerichtet", hat Lorenzo Fluxá einmal dieses Gebilde eines anatomisch-ergonomischen Handschuhs für Füße beschrieben, und dabei - ohne es möglicherweise zu bemerken - sich selbst am allerbesten charakterisiert. (DER STANDARD/rondo/30/05/03)