"Upplev mer" bietet Dachwanderungen auf der Insel Riddarholmen seit 2008 an. Die Idee kommt aus Sundsvall, wo seit 2001 am Dach gewandert wird. In Stockholm sind mittlerweile 30 Guides Dachführer, die Touren werden in sieben Sprachen (u. a. Schwedisch, Englisch und Deutsch) angeboten und sind nicht billig: 525 Kronen (nicht ganz 60 Euro) - pro Person. Wer knifflige Kletterei erwartet, wird - in diesem Punkt - enttäuscht werden: Der Weg ist nicht länger als 400 Meter. "Schlüsselstellen" sind zwei Treppen und eine etwa 30 Meter lange Querung ohne Geländer. Aber darum geht es ja auch nicht.

-> Bilder von der Dachwanderung in einer Ansichtssache.

Foto: Rottenberg

Ein Gastro-Detail treibt Skandinavien-Neulinge mitunter in den Wahnsinn: Getränke und Snacks werden fast überall, Softdrinks und Bier mitunter sogar in sehr guten Restaurants, nach dem Pub-Prinzip verkauft: anstellen an der Bar, selbst holen, gleich zahlen.

Da skandinavische Servicekräfte gerne, freundlich und gut beraten, kann das dauern - bis Kaffee, Salate & Co dann gemacht sind, kommt noch einmal die gleiche Wartezeit hinzu. Nur, drängeln oder stressen bringt nichts: Sogar Minister und Filmstars stellen sich in Schweden hinten an.

Infos und Tipps zu Schweden und Stockholm: www.visitsweden.com

Foto: Louise Billgert/visitsweden.com

Dass der Pelikan wirklich nicht wie ein Pelikan aussieht, war ziemlich lange ziemlich wurscht. Über 370 Jahre lang. Denn am Anfang, als man den komischen Vogel in die Kirchturmspitze einbaute, wusste niemand - der Künstler ganz offensichtlich, die Auftraggeber allem Anschein nach -, wie ein Pelikan überhaupt aussieht. Und danach schaute niemand mehr hin: Das Publikum hatte, positionsbedingt, wenig Chancen, zu erkennen, dass und warum der Pelikan so gar nicht pelikanig aussieht.

Aber das war einmal. Denn heute zeigt Anna Maria Ek mitunter mehrmals pro Tag auf das Blechfedervieh, das da mitten im Versuch, sich selbst den Schnabel in die Brust zu rammen, zu einem Teil der Kirchturmspitze wurde - und fragt: "Wisst ihr, was das für ein Vogel ist?" Und dann, nachdem sich ihr Publikum in fruchtlosen Mutmaßungen und ergebnislosem Rätselraten ("Graugans? Ente? Schwan? Möwe? Ein Kormoran?") ergangen hat, erzählt Anna Maria Ek eine Geschichte.

Die Geschichte vom Pelikan, den sich Gustav II. Adolf einst als Giebelsymbol jenes Kapellentürmchens der Kirche auf Riddarholmen auserkor, das nach seinem Tod (1632, das nur nebenbei) das Andenken an ihn, den schwedischen König, nicht verblassen lassen sollte.

Der Pelikan schien ihm und seinen Nachfahren angemessen - schließlich steht der Vogel in der christlichen Symbolik für Selbstaufopferung zugunsten der Familie - oder eben des Landes.

"Das Problem", wiederholt Anna Maria Ek, "war, dass damals kaum ein Schwede Pelikane gesehen hatte." Dann dreht sie sich um - und zeigt auf einen anderen Turm: den des Stockholmer Rathauses. "Dort oben seht ihr drei Kronen. Das Symbol der schwedischen Monarchie. Wir wissen aber selbst nicht so genau, wofür die wirklich stehen."

Spätestens da lachen dann auch jene Besucher, die bisher nur Augen für das Sicherungsseil und das Geländer des ohnehin komfortabel-breiten Rauchfangkehrersteiges hatten. Anna Maria Ek, die Fremdenführerin auf dem (mitunter) heißen Blechdach, weiß: Nicht jeder ist schwindelfrei. Doch wer lacht, verliert die Angst - und nur wer keine Angst hat, der kann ein Erlebnis auch genießen. Etwa das, sich Schwedens Hauptstadt vom Dach des alten Parlaments in Stockholm anzusehen: Das Schloss nebenan, die Kirchen ringsum, die Altstadt zu Füßen - und das moderne Stockholm ein paar Schluchten - unten würde man "Straßen" sagen - entfernt.

"Rooftop Tours" nennt sich dieses Abenteuer für jedermann. Seit 2008 kann man es in Stockholm buchen - und tatsächlich hält es, was viele Stadttouren, egal ob zu Fuß, per Rad, Kutsche, Straßenbahn, Oldtimer oder im Handstand, platt versprechen: die Stadt aus einer anderen, ungewohnten Perspektive zu erleben. Denn 40 Meter über dem Boden sieht die Welt nicht nur anders aus: Sie klingt anders. Sie riecht anders. Und sie fühlt sich auch anders an. Ganz anders.

Auch, weil eine Wanderung - angeseilt! - übers Dach für Besucher ohne Alpin-Skills Abenteuercharme hat. Schon das Sicherheitspaket samt der umfassenden Erklärung sorgt bei Menschen, die Berge höchstens aus der Sesselliftperspektive kennen, für ein bisserl Nervenkitzel: Wann hat man schon mit Fixseil, Sicherung und Klettergeschirr zu tun?

Das System ist aber deppensicher: Damit sich unterwegs auch wirklich niemand ausklinken kann, muss man die eigene Sicherungsleine nirgendwo umhängen. Man zieht sie an einer Art Schlitten das fix montierte Stahlseil neben dem gemütlichen Rauchfangkehrersteg entlang. Wie einen jungen Hund, der ab und zu ein bisserl bockt: Menschen, die gewohnt sind, sich eben nicht am Seil festzuhalten, kann das Anfangs ein wenig irritieren.

Selffulfilling Helm-Prophecy

Auch der Helm ist Pflicht - und hebt das Abenteuerfeeling. Obwohl die einzige Gefahr für den Kopf der Ausstieg durch eine Dachluke ist: Die helmbedingte Mehr-Höhe nicht gewohnt, rummst fast jeder gegen den Dachbalken: Prompt hat das Sicherheitspackage seine Notwendigkeit bewiesen.

Aus Sicherheitsgründen sind die Gruppen nie größer als zehn Personen. Das schlägt sich auf Preis und Verfügbarkeit nieder: Die eineinviertelstündigen Trips mausern sich gerade v om Geheimtipp zum "Next Big Thing": Wer auf die Schnelle Karlsson-vom-Dach-Perspektive spielen will, landet oft nur auf der Warteliste.

Doch reservieren lohnt: Während Aussichtstürme meist bloß (ja eh: eindrucksvolle) Rundblicke servieren, bietet die Wanderung entlang der Giebel eines ganzen Blocks mitten in einer Millionenstadt auch Einblicke. In das, was man "echtes Leben" nennt.

Hier steht ein Fenster offen - am Schreibtisch dahinter gräbt sich jemand durch einen Aktenberg. Dort, in der Hängematte auf einem Balkon, verdöst einer den Tag. Hinter einem vorhanglosen Fenster isst und gestikuliert ein Paar - streiten die beiden gar?

Die kleinen Blicke in fremde Wohnungen zeigen: Stockholm wohnt den gesamten Ikea-Katalog. Und für das Pärchen, das auf der Kaimauer die Welt ausgeblendet hat, kann man Schutzengelgefühle entwickeln - ohne sich dabei als Voyeur zu fühlen: Vom Dach aus ist man weit genug weg, um zu sehen - aber nicht nah genug, um zu spannen.

Abgesehen davon ist da auch noch Anna Maria Ek. Die erzählt mittlerweile die Geschichte Schwedens. Die von vor den Menschen: Von oben, mit Blick auf Meer, Brücken und Kanäle, ist Stockholm tatsächlich als Inselstadt begreifbar.

Anna Maria Ek zeigt auf die schroffen Klippen gegenüber der historisch-monarchistisch-touristischen Altstadtinsel Gamlastan. Sie erzählt, wie vor Jahrmillionen kilometerdickes Eis Schweden, Stockholm und die Schären aus dem Stein fräste: Das relativiert das, was Menschen hier in Jahrhunderten errichteten, doch - ohne zu entwerten.

Und genau das öffnet die Augen. Für Details, die so oft übersehen werden - weil man sie von dort, wo sich alle drängeln, nicht sehen kann. Oder weil niemand den Kopf weit genug in den Nacken legt, um den Vogel in der Turmspitze überhaupt zu sehen. Geschweige denn, um zu erkennen, dass das wirklich kein Pelikan ist. (Thomas Rottenberg/DER STANDARD/Printausgabe/17.09.2011)

-> Bilder von der Dachwanderung in einer Ansichtssache.