Camunnische Rosen zum Greifen nah.

Foto: FH St. Pölten / Grubinger

Die Pitotis sind in den norditalienischen Alpen heimisch und in etwa 5000 Jahre alt. Nicht um seltene Tiere geht es, sondern um Krieger, Ochsen und Fuhrwerk, die vom Stamm der Camunni in den weichen Fels des Val Camonica geritzt wurden.

Auf die Suche nach den "Püppchen" - dafür steht Pitoti in einem lokalen Dialekt - machten sich Markus Seidl und sein studentisches Team der FH St. Pölten. Gemeinsam mit dem "Prehistoric Picture Project" der Universität Cambridge überlegten sie sich, wie man dieses Unesco-Welterbe zum Greifen nahe ins Museum bringen kann.

Der "Multi-Touch Tabletop" brachte die Lösung. Wie ein Couchtisch-großes iPhone sieht er aus und lädt ein, ihn von allen Seiten zu betatschen - die Besonderheit liegt darin, dass ihn mehr als zwei Hände gleichzeitig bedienen können. In der European Researchers' Night vergangene Woche bestand er den Härtetest - bei acht Stunden Hochbetrieb wurde ihm nur einmal zu heiß. Schließlich gleiten auf seiner Oberfläche mehr als zehn Gigabyte Fotomaterial: Eine riesige Steinplatte und ihre Pitotis wurden in Bilder gefasst und auf dem riesigen Bildschirm zugänglich gemacht. Dies war die Aufgabe fünf Studierender aus dem Studiengang Media Computing der FH St. Pölten. Aus 240 Einzelfotos generierten sie ein Gesamtbild des Steins, das per Fingerzeig heran- und hinausgezoomt und hin- und hergeschoben werden kann.

Die Übergänge nahtlos zu machen war eine besonders heikle Aufgabe, erinnern sich die Fotografen. Zwei Tage lang liefen sie über den Stein, um trotz wechselnden Lichts und verschiedener Winkel eine möglichst authentische Aufnahme zu gewinnen. Die Betrachtung des Steins auf dem Multi-Touchtable soll in Ausstellungen als interaktives Element eingesetzt werden, um den prähistorischen Stamm, der 1500 vor Christus romanisiert wurde, greifbarer zu machen.

Dazu haben sich die Studierende einfache Spiele überlegt, die Kinder dazu anregen sollen, sich mit den Petroglyphen auseinanderzusetzen. Durch Drehen, Wenden, Größer- und Kleinermachen kann man in einem Puzzlespiel losgelöste Teile eines Pitotis zusammensetzen. So werde man sich der Zusammensetzung der Figuren bewusster - schließlich gehe es um den Zugang zu einem jahrtausendealtem Weltbild.

Mitte 2012 soll der Tisch erstmals in Mailand ausgestellt werden, danach wird er jenseits des Atlantiks ins "Museum of Archaeology and Anthropology" der Uni Cambridge weiterreisen.

Jener Stein, der nun im taktilen Tisch bewahrt ist, wurde wegen seine sehr hohen Pitoti-Dichte ausgewählt: 600 Darstellungen hat die Forschungsgruppe auf ihren hochaufgelösten Fotos ausmachen können. Nicht nur fürs Museum, sondern auch für historische Forschung sei diese Arbeit sehr wertvoll, sagt Projektleiter Markus Seidl. Die Felsen aus Val Camonica seien neben natürlicher Witterung auch regem Tourismus ausgesetzt. Eine fotografische Dokumentation sei auch zur Erhaltung der Pitotis sehr wertvoll.

"Es ist ein Masterprojekt, das besonderes Engagement abverlangt", rühmt Seidl seine Studierenden. Dieser Meinung ist auch die Jury des Wettbewerbs "APA IT Challenge", den das Team kürzlich gewann.

Kaffeeplausch am Touchtisch

Die fünf Master in spe im Studiengang Media Computing arbeiten nun schon mehr als ein Jahr an der Pitoti-Segmentation. Motivation ist keine Schwierigkeit: Die Exkursion zu dem beeindruckenden Stein war der "Knackpunkt", erzählen sie. Eine Woche verbrachten sie Vorort, um den Stein virtuell mit nach Hause zu nehmen.

Seidl arbeitet aktuell an einer Technik, die Pitotis auf dem Stein ausfindig macht und markiert. Auch sollen die Ritzungen gleich nach Stil und Form klassifiziert und mit Petroglyphen-Archiven verglichen werden.

Das Interesse am taktilen Tisch beschränke sich aber nicht lediglich auf öffentliche Räume und Forschung, sondern werde schon bald ins Alltagsleben einkehren, ist sich Seidl sicher. Er stellt sich einen Kaffeeplausch am Touchtable vor. Da werden die Häferl kurz zur Seite gerückt, und mit ein paar Fingertipps erscheinen die gewünschten Urlaubsfotos. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.09.2011)