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Die Berliner Mauer ist ein Symbol der Abkapselung schlechthin. Weil es immer wieder zu Zwischenfällen kam, wurde die Sektorensperre sukzessive erhöht, hier 1961 an der Bernauer Straße.

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Selten ging es gut, wollten Länder absolute Inseln sein und ihre Grenzen nicht mehr als Rahmen, sondern als Abkapselungsinstrument verstanden wissen.

Über besonders interessante Exemplare solcher Kapseln wurde bei der Konferenz From the Iron Curtain to the Schengen Area diskutiert, die letzte Woche in Wien stattfand. In schönem Setting, umzingelt von tausenden Büchern, wurde im Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) der Eiserne Vorhang unter historischen, politologischen sowie kulturwissenschaftlichen Aspekten untersucht. Die zahlreichen Wissenschafter, die aus Ost- und Mitteleuropa, Nordamerika und Skandinavien angereist waren, ließen kaum eine postkommunistische Grenze aus. Innersowjetische Grenzen, Grenzen des sogenannten Ostblocks zum "Westen" sowie spezielle Schnittstellen etwa zwischen der Türkei, Griechenland und Bulgarien, Polen und Deutschland wurden analysiert. Dabei wurde das launische Konfliktpotenzial bis hin zur Détente (Entspannungspolitik) gemessen.

So betrachtete Martin D. Brown von der American International University in London aktuelle Versuche, eine neue "Sicherheitsarchitektur" zu basteln, aus Sicht der britischen Entspannungspolitik der 70er-Jahre. Er betonte, dass der Kalte Krieg und die Blockbildung durch das Fehlen einer Post-war-Peace-Konferenz 1945 erheblich verschlimmert wurden.

Trucker in der Kapsel

Erfahrungsberichte aus der Perspektive von Grenzsoldaten und Flüchtlingen wurden eingeholt, aber auch sehr spezielle Gruppen zum kommunistischen Alltag befragt: Emilija Karaboewa von der Universität Plowdiw beschäftigte sich etwa mit bulgarischen Truck-Fahrern, die in der besonderen Situation waren, die dichten Grenzen täglich zu überqueren. Der Lkw wird dabei wiederum zu einer Kapsel, in der das sozialistische Regime mitgeführt wird.

Das beliebteste Beispiel für eine plötzliche Grenzöffnung ist und bleibt aber der Fall der Berliner Mauer von 1989. Vielleicht weil als "Wunder" inszenierbar, vielleicht weil man inzwischen eine eigene Komik der DDR entwickelt hat oder weil es sich nicht nur um eine abstrakte, von weitem beobachtbare Grenze, sondern teilweise um eine enorme Ziegelmauer inmitten einer Hauptstadt handelte. Es war denn auch der 50. Geburtstag des Mauerbaus, den das Ludwig Boltzmann Institute for European History and Public Spheres (LBI EHP), die Akademie der Wissenschaften und das IWM als Anlass für die Konferenz nahmen.

"Es gibt ganz konkrete ästhetische Erwartungen, wie die Mauer fallen sollte" , sagte Sune Bechmann Pedersen, der sich auf zentral- und osteuropäische Filme und Geschichte spezialisierte. Der schwedische Wissenschafter analysierte das Mauermotiv in deutschen Filmen von 1989 bis heute. "Die Mauer verlor ihren hochheiligen Status" , ist seine Konklusion. Inzwischen darf man offiziell über die DDR lachen - spätestens seit der Verfilmung von Thomas Brussigs Helden wie wir von 1999.

Die Komik eines zweigeteilten Deutschlands und seines östlichen Teils im Speziellen, liegt in dem Willen, ein geschlossenes kulturelles Biotop zu sein, bei dem nichts nach außen und nichts nach innen dringt - und vor allem im Scheitern dieser Vision.

Thomas Lindenberger vom Boltzmann Institute EHP wiederum sah sich die wenigen Beispiele deutscher Filme vor 1989 an, die das Ende der DDR antizipierten - meist handle es sich um utopische Inszenierungen.

Meier wurde drei Jahre vor dem Mauerfall in der DDR gedreht und zeigt einen ostdeutschen Antihelden, der mithilfe professioneller "escape assistance" zu einem westdeutschen Pass gelangt. Daraufhin überschreitet er die Grenze in Berlin jede Nacht. Das Doppelspiel wird erst aufgedeckt, als der gewiefte Malermeister die "Innovation Raufasertapete" als seine Erfindung ausgibt, sie massenweise aus Westdeutschland importiert und so zu DDR-weitem Ruhm gelangt. Als "Held der Arbeit" unantastbar, wird Meier in Ruhe gelassen und genießt mit seiner Freundin das planwirtschaftliche Leben. "Ost - West wird durch Liebe überwunden" , kommentiert Lindenberger. So ging es nicht nur um die totale Abschottung, sondern darum, wie diese Grenzen im alltäglichen Geschehen zwangsläufig eine gewisse Durchlässigkeit und Elastizität erhielten.

Zumindest diese Grenzen gehören nun, zusammen mit den kommunistischen Regimen, der Geschichte an. Das Basteln an "Sicherheitsarchitekturen" ist jedoch - schaut man nach Israel oder an die US-mexikanische Grenze - nach wie vor aktuell, genauso Abschottungsmechanismen wie das Schengen-Abkommen. (DER STANDARD, Printausgabe, 05.10.2011)