Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Modell Karl Lagerfelds für Chanel

--> Bilder von der Lagerfeld-Schau

Foto: Reuters/tessier

Seit dem spektakulären Rauswurf von John Galliano als Chefdesigner bei Dior im März dieses Jahres (die Nachfolge ist immer noch nicht geregelt) hat sich die Pariser Modeszene merklich verändert. Auch andere Häuser trennen sich plötzlich von ihren exzentrischen Kreativstars und holen sich stattdessen No-Names ins Spiel: Designer, die wirklich kaum einer kennt. Die sind nicht nur billiger, sondern sie erfüllen auch klaglos die Vorgaben ihrer Chefs, wobei Verkäuflichkeit in Krisenzeiten an oberster Stelle rangiert.

Am überraschendsten war der plötzliche Abschied von Giles Daecon, einem Star der Londoner Szene, nach nur einer Saison bei Ungaro. Auf Chloés Hannah MacGibbon folgte Clare Waight Keller, von der man nur weiß, dass sie zuletzt Pullover für das Label Pringle of Scotland entwarf. Und der poetische Antonio Marras wurde bei Kenzo durch die gänzlich unbekannten Humberto Leon und Carol Lim ersetzt.

Einen mehr als klingenden Namen hat dagegen Haider Ackermann: Seine in kostbaren Juwelenfarben schimmernde Kollektion gilt als absolutes Highlight der gestern, Mittwoch, zu Ende gegangenen Modeschauen für Frühjahr 2012. Aus changierenden Seidentaften schneidert der gebürtige Kolumbianer, den Karl Lagerfeld vor einiger Zeit als seinen Nachfolger bei Chanel ins Spiel brachte, breitschultrige Jacketts und weite, orientalische Männerhosen, deren tiefe Falten schmal an Knöcheln enden.


Ackermann im Farbrausch


Lila kombiniert er zu Braun und Rubin, Türkis leuchtet neben Saphir, und Orange erhellt Oliv und Schwarz. "Das ist so schön" , sagt Suzy Menkes, die gefürchtete Modekritikerin derInternational Herald Tribune, als sie dem Designer nach der Schau gratuliert, "dass man eigentlich gar nichts anderes mehr sehen möchte" !

Auch nicht Chanel? Karl Lagerfeld hat sich diesmal wahrlich selbst übertroffen, indem er das Grand Palais, den Ausstellungspalast aus der Belle Époque, in ein Aquarium verwandelt hat - mithilfe riesiger Algenbüschel, Muscheln, Seepferdchen und Fischen. Dazwischen flanieren Karls Mädchen im neuen Chanel-Kostüm mit knielangem Dirndlrock zum kantigen Spenzer. Perlen zieren dessen Kanten und schmücken Hals und Haar. Den Akzent setzt Lagerfeld aber auf Rückfronten bei Jacken und Kleidern, die er bauscht und in reichliche Falten legt, mit Gurten aber wieder bändigt. Glänzende, schimmernde und irisierende Stoffe steigern dabei die Wirkung.

Was auffällt, ist die deutliche Abkehr Lagerfelds von allem Maskulinen und die Hinwendung zu mehr Weiblichkeit. Das gilt auch für Stefano Pilati, den Chefdesigner von Yves Saint Laurent, der die Couture als Inspiration entdeckt. Auch er betont die Rückfronten durch Blousonweiten oder durch glockige Schößcheneffekte, und zum ersten Mal bekennt er Farbe, was einst eine Spezialität des großen Yves war. Bis auf Jadegrün und Fuchsien sind es aber Winterfarben, mit denen Pilati seinen Sommer koloriert.

Kurven hingegen rückt Riccardo Tisci bei Givenchy ins rechte Licht mit perfekt geschnittenen Blazern mit tiefgezogenem 80er-Revers. Auch Leggins in Hauttönen oder Glockenvolants erinnern an die 1980er-Jahre und Azzedine Alaia, den Kultdesigner jener Dekade. Der Star auf seinem Laufsteg ist aber das brasilianische Supermodel Gisele Bündchen.

Bei Louis Vuitton hat dagegen Kate Moss im weißen Federn-Spitzenkleid einen Auftritt. Marc Jacobs hat die Vuitton-Kollektion diesmal vornehmlich in Weiß und sanfte Pastellfarben getaucht. Spitze überzieht er mit Organza, auf den knapp über die Knie reichenden Kleidern sind großflächige Blüten appliziert. Das Blüten-Motiv findet sich auch an den breiten Krägen und den kurzen Mänteln mit Dreiviertel-Armen wieder. Eine federleichte Spitzen-Kollektion und eine Hommage an die französische Mode.

Breite und dicke Schultern gibt es dagegen bei Alber Elbaz bei Lanvin. In düsteren Farben erinnert er an Blade Runner. Dicke Anakondaschlangen als Druck auf Seidenkleidern variiert Elbaz in Strass für die Cocktailstunde. Manchem mag dies als Rückschritt erscheinen. Die als neue Chefdesignerin für Louis Vuitton gehandelte Phoebe Philo (falls Marc Jacobs zu Dior wechselt) geht für Céline den klarlinigen Weg des Minimalismus strickt nach vorn. Mit Plisseefalten lässt sie wadenlange Röcke, wie in den 1920er-Jahren, auf die Hüfte rutschen oder betont mit ihnen Blusenrücken, wobei sie die Vorder- und Rückseite oft unterschiedlich koloriert.


Langeweile bei Hermès


Auch Christophe Lemaire, der neue Mann bei Hermès, der zuvor für Lacoste arbeitete, erinnert mit grafisch unterteilten Flächen auf geraden Kleidern an den russischen Konstruktivismus. Und er zitiert auch die klassische Moderne mit langen Faltenröcken, geraden Shirtkleidern, weiten Hosen und geschlitzten Tuniken. Mit einer ruhigen, großzügigen Linienführung zeigt er den neuen Modernismus, der in die Mode einkehrt - und gleichzeitig dessen Gefahr: eine schöne, gepflegte Langeweile in edlen Stoffen und bei bester Verarbeitung. (Peter Bäldle, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.10.2011)