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Ein Archivfoto aus dem Jahr 2004: US-Marines stürmen auf ein Gebäude zu.

Foto: Jim MacMillan, File/AP/dapd

Bagdad/Washington/Wien - Die irakische Regierung versucht immer noch, mit der amerikanischen das "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass"-Spiel zu spielen: Demnach wird laut Präsident Jalal Talabani Bagdad die USA ersuchen, über den vertraglich festgelegten Abzugstermin hinaus 5000 Soldaten im Land zu lassen. Rechtlich, und da spießt es sich mit den Bedürfnissen der USA, sollen sie jedoch Trainer und Ausbildner und nicht "Truppen" sein. Das heißt, sie hätten nicht mehr die Immunitäten, die die US-Soldaten im Irak jetzt haben.

Der US-Abzugstermin Ende 2011 ist im "Sofa" (Status of Forces Agreement) festgeschrieben - mit der Option, dass Bagdad um eine Verlängerung bitten kann. Das Sofa wurde noch unter George W. Bush Ende 2008 abgeschlossen wurde: Obama kann es sich also nicht als sein Verdienst anrechnen, wenn die US-Soldaten heimkommen. Umso heikler ist es für ihn, sich im Jahr vor den Präsidentschaftswahlen für eine Verlängerung des Einsatzes zu entscheiden - auch wenn die Sicherheitslage sowohl in der Region als auch im Irak dafür spricht.

Manche US-Analysten raten zu bis zu 20.000 Mann, denn die irakische Armee sei nicht in der Lage, für die innere und äußere Sicherheit zu sorgen. Andere verweisen auf den Glaubwürdigkeitsverlust in der Region, wenn die USA nicht abziehen - ganz abgesehen von der Kriegsmüdigkeit zu Hause.

Auch der irakische Premier Nuri al-Maliki tut sich schwer, für mehr als "Trainer" einzutreten. Maliki hat 2008 den USA den Abzugstermin abgetrotzt und damals einen Popularitätsschub erlebt. 2010 wurde er mithilfe des radikalen Schiitenführers Muktada al-Sadr - der für einen sofortigen und völligen Abzug ist - wieder Premier, und zwar, so ist die Meinung, auf den Wunsch Teherans. Dass Teheran kein Interesse daran hat, dass US-Soldaten im Irak bleiben, liegt auf der Hand.

Bereits im Mai mahnte US-Generalstabschef Mike Mullen die Iraker zu einer schnellen Entscheidung, die jedoch noch immer nicht gefallen ist. Mittlerweile sind die Vorbereitungen zum Abzug - ein Riesenunternehmen, das nicht nur die Soldaten (etwa 47.000), sondern auch zehntausende Angestellte von Subunternehmen, involviert - im Gange. Dutzende Militärbasen müssen geschlossen, viele Tonnen von diversem Material entsorgt werden.

Politisches Chaos

Der Irak selbst präsentiert sich am Vorabend des Abzugs in einem politisch desaströsen Zustand. De facto regiert Maliki, der autoritäre Züge zeigt, mit einer Minderheitsregierung. Die Versprechen, mit denen der knappe Wahlgewinner von März 2010, Iyad Allawi, in die Regierung gelockt wurde, wurden nie erfüllt: Er sollte einem politisch-strategischem Rat vorsitzen, den es immer noch nicht gibt (und der wohl nicht mehr zustande kommt). Die Sicherheitsministerien (Verteidigung, Inneres) sind nur interimistisch besetzt. Mit den Kurden im Nordirak streitet Bagdad weiter um ein Ölgesetz.

Trotz vieler brennender Probleme hat sich das Parlament soeben eine Sitzungspause bis 20. November verordnet, weil, wie es heißt, so viele Abgeordnete Anfang November auf der Hadsch in Mekka sein werden, dass man das nötige Quorum ohnehin nicht zustande bringen würde.

Zum inneren Chaos kommt die Unruhe in der Region: Die Positionierung des Irak gegenüber den arabischen Revolutionsbewegungen ist komplex. Die Regierung Maliki agiert sehr "schiitisch" und unterstützt etwa die Protestbewegung in Bahrain, worunter die Beziehungen zu den sunnitischen Golfstaaten leiden. Ebenso hat sich Maliki auf die Seite des Regimes in Syrien geschlagen - schon aus Angst, dass nach Assad ein mehr oder weniger radikaler Sunnitenstaat kommen könnte.

Von einem Sturz Assads wäre der Irak auch insofern betroffen, als ein schwindender Einfluss Irans in der Levante dazu führen würde, dass Teheran seine Interessen im Irak umso stärker verteidigt: einer der Gründe, warum die USA eigentlich bleiben wollen. (Gudrun Harrer, STANDARD-Printausgabe, 12.10.2011)