Der Vorgang ist der Auftakt zur Entstehung neuen Lebens: Eine Zelle teilt sich, und am Ende eines komplexen Prozesses sind nicht nur zwei, sondern vier Tochterzellen aus ihr hervorgegangen. Diese neuen Zellen verfügen in ihrem Kern lediglich über einen halbierten Chromosomensatz. Sie sind haploid, ihr Erbgut wurde zweigeteilt. Das macht Sinn, denn als Geschlechtszellen, sogenannte Gameten, sollen sie bei der Befruchtung mit einem ebenfalls haploiden Gegenstück verschmelzen. Nur so kann ein neues Lebewesen mit einem zusammengesetzten, diploiden Chromosomensatz entstehen, in dem genetische Merkmale beider Elternteile miteinander kombiniert sind.

Diese Vermischung der Gene ist einer der zentralen Mechanismen der Evolution. Sie tritt bei allen sich sexuell fortpflanzenden Organismen auf. Die erforderliche Vierteilung von Zellen bezeichnen Fachleute als Meiose oder Reifeteilung. Sexualität, im Wesentlichen das Zusammenfügen von halbierten Chromosomensätzen, ist aber nur ein Teil der Erfolgsgeschichte. Um die genetische Vielfalt weiter zu fördern, bedient sich die Natur noch eines zusätzlichen Tricks, der bereits vor der Befruchtung greift: der Rekombination. Dabei handelt es sich um den Austausch von DNA zwischen zwei homologen Chromosomen während der Meiose: Die beiden Chromosomen berühren sich, die DNA-Stränge brechen, und väterliches und mütterliches Erbgut vermischen sich. "Diese Rekombination ist eine wichtige Triebkraft für die Diversität", erklärt die Molekularbiologin Irene Tiemann-Boege vom Institut für Biophysik der Universität Linz.

Gencode verändert sich

Das Erbgut wandelt sich aber auch durch Mutationen. Diese manifestieren sich in der Regel als winzige Lücken oder Sequenzabweichungen in den DNA-Ketten, ihre Anwesenheit verändert den genetischen Code. Die meisten Mutationen werden über kurz oder lang von der natürlichen Selektion ausgelöscht - aber nicht immer. Manchmal führt eine Mutation auch zu einer neuen Eigenschaft, die dem Organismus zum Vorteil gereicht. Ein weiterer evolutionärer Fortschritt.

Lange Zeit glaubten Experten, dass Mutationen nur rein zufällig irgendwo im Genom entstehen. Durch Strahlung zum Beispiel. Doch das könnte ein Irrtum sein. In den letzten Jahren fanden Forscher mehrere Hinweise auf die Existenz einer Verbindung zwischen Mutationen und Meiose. Erstere scheinen ungewöhnlich häufig in der Nähe von "Hotspots" stattzufinden, dort, wo normalerweise auch die DNA-Abschnitte bei der Rekombination ausgetauscht werden.

Die "Hotspots" sind praktisch die Zentren der Rekombination. Wie ihre Aktivität gesteuert wird, ist allerdings noch nicht geklärt. "Vermutlich geschieht dies epigenetisch", meint Tiemann-Boege. Spezielle Proteine dürften sich an die DNA-Abschnitte heften und so deren Austausch einleiten oder blockieren. Aber löst dieser Prozess auch Mutationen aus, und wenn ja, warum? Diese Fragen versuchen Tiemann-Boege und ihre Arbeitsgruppe seit einigen Monaten zu klären. "Wir wollen messen, ob Meiose tatsächlich die Anzahl der Mutationen erhöht." Zu diesem Zweck werden die Wissenschafter die Chromosomen von Milliarden männlicher Samenzellen experimentell analysieren. Letztere haben schließlich die Meiose durchlaufen, und sollte ihr Erbgut häufiger mutiert sein als die DNA von über Mitose entstandenen Blutzellen, dann wäre dies ein deutlicher Hinweis. Anschließend wollen die Experten die Mutationen und ihre möglichen Auswirkungen auf "Hotspots" genauer unter die Lupe nehmen. Der österreichische Wissenschaftsfonds FWF unterstützt das Projekt finanziell.

Die biologische Bedeutung eines meiotischen Mutationsmechanismus läge in der Möglichkeit, Veränderungen gewissermaßen kontrolliert ablaufen zu lassen. "Hotspots" liegen schließlich fast immer in Bereichen, in denen sich keine absolut lebenswichtigen Gene befinden. Diese Areale wären somit als evolutionäre Experimentierfelder geeignet. "Dies könnte ein weiterer Weg zur Erhöhung der genetischen Vielfalt sein", sagt Tiemann-Boege. Vielleicht verlässt sich die Natur doch nicht so sehr auf den Zufall. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.10.2011)