Barbara Hundegger
Foto: Monika K.Zanolin
Innsbruck – Vor vierzig Jahren hat eine große Lyrikerin sich ans Dramatische gewagt: In "Three Women" konfrontiert Sylvia Plath Ehefrau, Mädchen und Sekretärin, drei Standardlebensformen oder –phasen, mit dem leitmotivischen Inbegriff weiblicher Existenz, der Mutterschaft, und dem vorangehenden Sein "in anderen Umständen". Von radikal anderen Umständen sprechen "nutte, nonne, lesbe" in Barbara Hundeggers erstem Theaterstück.

Die sprengkräftige, nur vermeintlich spekulative Konstellation ist durch lokale Anbindung bedingt. In einem der ältesten Stadtteile Innsbrucks, bekannt durch Wiltener Schützen und ebensolche Sängerknaben, existierten bis vor kurzem nebeneinander das bekannte Bordell, der (nunmehr übersiedelte) Karmel, das Autonome FrauenLesbenzentrum. Was "coop.fem.art", eine Künstlerinnengruppe um die erfahrene Theatermacherin Margit Drexel, motivierte, ein Stück über die un-nahbaren Nachbarinnen in Auftrag zu geben.

Jede der drei mit besonderem Nimbus umgebenen Hauptfiguren stellt schon im Eingangsstatement vor und klar, was "meine Welt" ausmacht: "das geschäft mit dem sex", "die stille mit gott", "die frauen". Drei scheinbar völlig verschiedene, getrennte Welten. Dass aber meine Welt, ihre, deren Welt eine ist, die des perfekt eingespielten spätkapitalistischen Patriarchats, wird in den Denkbewegungen des Textes klar und macht ihn über die konkret-örtliche Verankertheit hinaus relevant. Think global, act local.

Schongang

Nicht gar so "local" vielleicht, unter Umständen ... Es stimmt: Das Team um Drexel hat das Stück bemerkenswert konsequent produziert, in einem intensiven gemeinsamen Arbeitsprozess, mit sorgfältigem Blick auf alle Mitwirkenden bis hin zu den beiden jungen Technikerinnen, die die Männerdomäne im ORF Studio aufgemischt haben, und zur Entscheidung, bei den Eintrittspreisen nicht, wie üblich, Ermäßigungen für diverse benachteiligte Personengruppen zu gewähren, sondern ein Korrektiv für einkommensmäßig Bevorzugte zu schaffen: Männer.

Was aber die Inszenierung im engeren Sinn angeht, scheint die Regisseurin darauf bedacht gewesen zu sein, "das heimische Publikum" nicht zu überfordern. Weder quantitativ noch qualitativ. Groben Kürzungen sind nicht nur Widersprüchlichkeiten, Witz und Komplexität, sondern auch eine ganze Figur zum Opfer gefallen: Die anspruchsvolle Tripelrolle der namen- und lebensweltlosen "besten Freundin" ist gestrichen - und damit nicht nur ein wichtiges, dem "Am Schauplatz"-Risiko gegensteuerndes inhaltliches Element, sondern auch jeder echte Dialog. Anstelle der drei im Doppelsinn unterhaltsamen "Freizeit"-Szenen sind nun nur Quasigespräche jeweils zweier Protagonistinnen über die dritte (in den Worten letzterer) zu hören. Und durch das zusätzliche Abgehen von jedweder szenischen Dynamik von Fleischklopfen bis Haareschneiden werden die drei Akteurinnen zu Erzählerinnen.

Die dem Publikum und, in dieser Inszenierung besonders heikel: einander, wissend, insiderisch und in bisweilen seltsamer Vertraulich-, fast intimer Gemütlichkeit Details und Grundsätze "der dritten Art" schildern. Die Bühne, ein schmales langes Podest, um das herum die ZuseherInnen in U-Form aufgereiht sind, hat somit eher den Charakter eines unbelebten Bahnsteigs als den eines Laufstegs (der die Voyeurismen klarer benennen würde). Was sich dort "ab-spielt", wird zur unmoderierten, aber stets moderaten Talkshow.

"irgendwie" – "in dem sinn" – "im endeffekt"

Was bei allen Problemen der Inszenierung und ihrem (Nicht)-Umgang mit Verfremdung, Brüchigkeit und Metaebenen wirkt, stark und nachhal(l)tig, ist Barbara Hundeggers Sprache. Weniger überraschend in den auch durch Ausführung überzeugenden Chorpassagen und den kurzen geschliffenen, streng parallel konstruierten Anfangs- und freier gedichteten Schluss-Sequenzen von Gloria, Amata und Pat: In diesen klingt die poetische Sprachkraft der Lyrikerin durch, Präzision, Prägnanz und Dichte.

Beeindruckend und neu ist, wie es der Autorin gelungen ist, auch die erzählten Teile, basierend auf Interviewmaterial, so zu gestalten, dass durch die Form sowohl stilistische Überhöhung als auch Personenzeichnung erzielt wird: Floskeln mündlicher Rede, konventionelle Sprechfüllsel werden schon im Eröffnungsstatement, in dem noch jede von sich sagt "ich liebe mein leben", eingeführt und fortan raffiniert beibehalten. So, dass sie sich vom Partikel mehr und mehr entfernen und inhaltlichen Part einnehmen. "Irgendwie" sagt die Prostituierte und damit Vertreterin jener Lebenssituation, die in der größten Bandbreite von anonymer Ausbeutung, Unterdrückung und Erniedrigung über die faszinierende individuelle Gestalt bis hin zur hurenbewegten Sexarbeiterin changiert. Wo genau Gloria sich in diesem Spektrum befindet oder sieht, ist eher "irgendwie" als klar. Auch der Darstellerin Katharina Welser. Mit "in dem Sinn" komplettiert die ehemalige Nonne Amata – gespielt von Bettina Fritz, in sich ruhend und rund im Sprechen von sich, leicht geschwätzig und ins Klatschhafte abdriftend beim Auskunft geben über die Anderen – ihre Satzfragmente. Sie hat Sinn gesucht und nicht gefunden "in dem Sinn", die einzige Ehemalige, Aussteigerin unter den Dreien, in deren momentanem Leben es "die feile" nicht gibt, die an den anderen beiden dann doch "nagt", die spricht aus einer Position der Ausnahme von der Ausnahme, nicht gleichzusetzen mit Rückkehr in die Norm.

Und "im Endeffekt" sagt die Lesbe – mutig, wenn auch gelegentlich etwas fremdelnd verloren gegeben von Birgit Melcher – ironischerweise, und oft hauchweise selbstironisch: "anchorage ist es geblieben." ("Anchorage" ist auch Name des Frauencafés, in dem das Theaterprojekt seinen Anfang nahm.) – Politisierung und Frauenbewegtheit als Anker, als "happy ‚endeffekt‘" für das Leben als Lesbe: sich dieser Ein- und Hochschätzung zu entziehen, wäre nicht glaubwürdig für Autorin noch Produktion.

Kein Theater

Letzter Spot auf die "Auftritte", in denen auch von Illusion und Lebenslüge die Rede ist, vom Alltagstheater. "mir macht keiner was vor", endet Nutte, "ich mache niemandem was vor" Nonne, und "ich mach mir nichts vor" Lesbe. Barbara Hundegger macht vor, wie eigenwillige Arten, in und mit einem weiblichen Körper zu leben, zur Sprache kommen können und wie eigenwillige, nicht künstlerische Arten zu sprechen, in einem literarischen Text aufgehoben sein können. Dass es Margit Drexel sehr ernst nimmt mit dem (artifiziell literarisch behaupteten) "Nichts Vormachen" und vor lauter Faszination für extreme Lebensformen und deren verbal vermittelte Selbstdarstellung, kurz: für Geschichten und "Szene(n)" – auf die Szenen vergisst, ist schad‘. So ginge das nämlich auch als Hörspiel (wie Plaths "Three Women").