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Ohne Deutschland, ohne dessen riesige finanzielle Beiträge für EU-Partner wäre die Europäische Union rasch am Ende. Sie würde auseinanderfliegen, weil einige Mitgliedsländer ökonomisch und gesellschaftlich zusammenbrechen würden. Aber das passiert nicht.

Denn Deutschland tut nun das, was Altkanzler Helmut Schmidt vergangene Woche bei seiner Rundum-Schelte für Europas politische Eliten (inklusive Kanzlerin Angela Merkel) in einer großen politischen Rede zum Abschied des aus Frankreich stammenden Präsidenten der Zentralbank, Jean-Claude Trichet, in der Alten Oper in Frankfurt verlangt hat:

Es zeigt sich erstens umfassend solidarisch, indem es Partnern in der Not beisteht und Kredithilfe auf vernünftige Weise für das nächste Jahrzehnt absichert.
Und Deutschland ist zweitens bereit, in Zeiten einer echten existentiellen Krise des Kontinents über den Tag hinaus nicht nur an sich, sondern an die europäische Gemeinschaft und ihre Zukunft zu denken, indem es - ganz gegen den Mainstream und die Populisten unserer Zeit - neben der Hilfe eine substantielle EU-Reform vorschlägt; den Weiterbau; einen inhaltlich-strukturellen Umbau der Union, der die Gemeinschaft stärkt und dem Chauvinismus einzelner wie dem nationalen Egoismus entgegentritt.

Das ist nicht gerade wenig. Das muss auch einmal festgehalten werden. Und es gilt schon mitten in dem am Freitag angelaufenen EU-Jumbogipfel, der nach Dauerverhandlungen auch der Finanz- und Außenminister ja erst am kommenden Mittwoch mit einem Euro-Gipfel auf höchster Ebene der Staats- und Regierungschefs en detail entschieden werden wird.

Samstagabend. Soeben ist die deutsche Kanzlerin Kanzlerin in Brüssel eingeflogen, trifft sich mit den konservativen Regierungs- und Parteichefs zur Vorbesprechung, später dann mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und Kommissionschef José Manuel Barroso, zum Austausch.

Außenminister Guido Westerwelle flog umgekehrt gerade wieder weg aus der EU-Hauptstadt, Finanzminister Wolfgang Schäuble führt noch Gespräche mit seinen Eurokollegen.

Ist das zu dick aufgetragen, auch wenn es von einem Nichtdeutschen aus einem kleinen Land kommt?
Durchaus nicht. Dafür gibt es gute Gründe. Sie sind zunächst in den inhaltlichen Festlegungen zu finden, die bereits vorliegen: Schäuble hat erfolgreich den Versuch Frankreichs abgewehrt, für Hebelgeschäfte in Billionen-Dimensionen zum Aufkauf von Staatsanleihen von Schuldenstaaten die Zentralbank einzuspannen, den Euro also zum "politischen Geld" zu machen.

Danke, die Inflation ist schon hoch genug! Gleichzeitig macht er dabei mit, den Griechen mehr als bisher zu helfen, indem deren drückende Schuldenlast durch höhere Privatgläubigerbeteiligung reduziert wird. Viele Details müssen noch verhandelt werden, aber es sieht entgegen allen Unkenrufen (auch bei der Bankenkapitalisierung) nicht so schlecht aus, wie manche Panikmacher und -schreiber behaupten.

Noch eindrucksvoller lässt sich die konstruktive Haltung Deutschlands aber bei der Notwendigkeit einer EU-Reform zeigen. Westerwelle hat den Partnern am Nachmittag vorgeschlagen, den EU-Vertrag dahingehend zu ändern, dass die Rolle der EU-Kommission gegenüber den Staaten gestärkt wird, wenn es darum geht, deren fiskalische Exzesse einzubremsen. Gleichzeitig soll der Europäische Gerichtshof dabei als oberster Schiedsrichter eine Rolle bekommen und die Nationalstaaten verurteilen dürfen, wenn die die Euro-Stabilität gefährden. Und die Reform soll mit dem EU-Parlament gemeinsam in einem Konvent erarbeitet werden, also öffentlich und nicht im stillen Kämmerlein zwischen Ministern und Regierungschefs. Das verdient eben Lob. Was wäre die Union ohne die braven Deutschen?

Die Gegenprobe: Nur wenige EU-Staaten sprechen sich für EU-Reformen aus, auch Österreich nicht, wenn man den dürren Worten folgt, die Außenminister Michael Spindelegger und Regierungschef Werner Faymann dazu einfallen. Der Kanzler scheint überhaupt ganz auf die Finanztransaktionssteuer fixiert, sie kommt praktisch in allen seinen Wortmeldungen zur Union und zur Krise vor.

Und die anderen EU-Staaten? Belgien, einst EU-Musterland, hat 400 Tage nach den Wahlen noch immer keine neue Regierung, die Slowakei sucht derzeit eine Übergangsregierung, Spaniens Premier Zapatero bangt seiner Abwahl entgegen. Portugal, Griechenland, Irland kämpfen gegen die Pleite, haben also andere Sorgen. Die Briten wollen die EU rückabwickeln, Kompetenzen in die Nationalstaaten zurückbringen. Die finnische Regierung lässt sich von den rechtsgerichteten "wahren Finnen" treiben, in Dänemark arbeitet sich gerade die neue Premierministerin ein. Frankreichs Nicolas Sarkozy pendelt zwischen Babybesuch und dem Versuch, Milliardenschulden der Banken irgendwie nach Europa zu bringen bzw. sich auf den Wahlkampf 2012 vorzubereiten, über Silvio Berlusconi und Italien sollte man besser schweigen. Bleibt Viktor Orban in Ungarn, bleiben Rumänien und Bulgarien. Nur Polens Premier Tusk, soeben eindrucksvoll wiedergewählt, erweist sich als glühender Europäer.

Die Lage Europas ist also nicht leicht im Moment. Wie gut also, dass es die Deutschen gibt. (22.10.2011)