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In Zukunft wird er schweigen - bis er es dann nicht mehr will: Der dänische Filmemacher Lars von Trier versucht sich nach seinen Cannes-Entgleisungen zu bessern und wird nur noch Filme drehen.

Foto: AP/Francois Mori

Dieter Oßwald sprach mit ihm über seine Provokationen, Ängste und Lesevorlieben.

Wien - Ein Planet namens Melancholia ist auf Kollisionskurs zur Erde. Lars von Triers neues Melodram Melancholia erzählt vom möglichen Weltuntergang vor dem Hintergrund eines Familiendramas: Die Schwestern Justine (Kirsten Dunst) und Claire (Charlotte Gainsbourg) gehen mit der sich anbahnenden Katastrophe auf sehr unterschiedliche Weise um. Die Premiere des Films im Mai in Cannes wurde freilich von Lars von Triers Entgleisungen bei der Pressekonferenz überschattet, bei der er Sympathie für Hitler bekundet hatte. Als Reaktion auf ein mögliches rechtliches Nachspiel hatte der Filmemacher Anfang Oktober angekündigt, sich nie wieder in der Öffentlichkeit äußern zu wollen. Dieses Interview wurde noch davor geführt.

STANDARD: Mit ihrem provokativen Nazi-Sager haben Sie sich die Gunst des Festivals Cannes verwirkt und wurden zur Persona non grata erklärt. Wie denken Sie über den Rausschmiss?

Von Trier: Es war ein dummer Weg, auf diese Art die Beziehung zu beenden. Aber selbst wenn ich Hitler wäre, was ich ausdrücklich nicht bin, und einen palmenwürdigen Film hätte, sollte ihn das Festival zeigen. Ich habe komplett dumme Sachen gesagt, umgekehrt habe ich nicht die Rolle von Mel Gibson gespielt. Ich fühle mich als halber Jude, weil ich den größten Teil meines Lebens dachte, dass ich tatsächlich einer bin.

STANDARD: Gefallen Sie sich denn als "enfant terrible"?

Von Trier: Ich habe große Angst vor Konflikten, auch wenn es oft anders aussieht. Wenn ich einen vollen Saal habe, möchte ich ihn unterhalten. Ich weiß ja, dass alle nur darauf warten, dass Lars etwas Provokatives sagt. Mir ist einfach nichts wichtiges eingefallen, deshalb habe ich eben irgendwas gesagt und mich in diesen Satz verstrickt. Wenn man so eine Situation retten will, wird alles nur noch schlimmer.

STANDARD: Hat Sie die Reaktion noch depressiver gemacht?

Von Trier: Ich gebe zu, dass ich ein bisschen stolz darauf bin, eine Persona non grata zu sein. Ich habe einen französischen Orden, den sie mir jetzt vermutlich am liebsten vom Jackett abreißen würden. Aber wie gesagt, es war dumm und hat Leute verletzt, die ich nicht verletzen will.

STANDARD: Der Film selbst ging im ganzen Rummel fast unter, dabei wirkt "Melancholia" zugänglicher als Ihre anderen Werke ...

Von Trier: Stimmt, der Film ist zugänglicher. Ich habe ja auch gar nichts dagegen, verstanden zu werden. Wenn das früher vielleicht nicht der Fall war, liegt es daran, dass diese Filme eher im Fluss waren und vorab keine klar abgegrenzte Bedeutung hatten.

STANDARD: Einen Katastrophenfilm hätte man von Ihnen kaum erwartet ...

Von Trier: Wir haben auch keinen traditionellen Katastrophenfilm gemacht, sondern vielmehr einen poetischen. Allerdings habe ich mich schon sehr intensiv damit beschäftigt, was alles passieren könnte, wenn ein Planet dieser Größe auf die Erde trifft.

STANDARD: Wie kam Kiefer Sutherland in den Film? Sind Sie ein Fan von "24"?

Von Trier: Manchmal rufen mich nette Menschen an und fragen, ob ich nicht eine Rolle für sie hätte. Im Fall von Kiefer hat das besonders gut gepasst, weil: Wem würde man mehr abnehmen, in letzter Minute die Welt zu retten? Leider wird ihm das nicht gelingen. (lacht)

STANDARD: Wer ruft denn sonst noch an aus Hollywood?

Von Trier: Das verrate ich lieber nicht. Allerdings bin ich dankbar für diese Stars. Denn sie bringen eine Qualität und das Charisma mit, von dem man als Regisseur ausgesprochen profitieren kann.

STANDARD: Ursprünglich hatten Sie die Rolle von Kirstin Dunst eigens für Penelope Cruz geschrieben. Warum hat sie dann abgesagt?

Von Trier: Sie wollte wohl lieber etwas mit Piraten machen. Wir hatten in der Vorbereitung schon viel gemeinsam für den Film entwickelt, dass es Pferde darin gibt, liegt zum Beispiel daran, dass sie gerne reitet. Später meinte Penelope zu mir, dass sie gerne in einem anderen Film von mir mitspielen würde. "Ja gerne", meinte ich, "allerdings werde ich keine Rolle mehr für dich schreiben - das macht man nur einmal im Leben. "

STANDARD: Kirsten Dunst sagt im Film, dass es kein anderes Leben in der Welt gibt - glauben Sie das?

Von Trier: Eigentlich würde ich sagen, dass es bei Millionen von Planeten irgendwo irgendeine Form von Leben gibt. Aber dann hatte ich plötzlich für den Film spontan die Idee, dass dem nicht so ist. Denn das macht die ganze Sache dramatischer und religiöser.

STANDARD: Wie hat sich das auf die Atmosphäre beim Drehen ausgewirkt?

Von Trier: Wir hatten eine sehr gute Zeit. Alle waren sehr gesellig und soffen wie die Schweine.

STANDARD: Haben Sie dem Alkohol nicht abgeschworen?

Von Trier: Doch, inzwischen schon. Vor einem halben Jahr hätte mich eine Flasche Whiskey glücklich gemacht. Heute ist es das Gefühl, ein Buch von Marcel Proust zu lesen. Dort passiert bekanntlich gar nichts. Das beruhigt und macht mich glücklich.

STANDARD:Welche Form von Kino kann man in Zukunft von Ihnen erwarten?

Von Trier: Ich habe den Traum, dass ich im Alter einmal Filme drehe, die sehr billig sind und 80 Stunden dauern. Die Idee kam mir bei meiner neuen Leidenschaft für das Lesen. Da findet es niemand anstößig, wenn ein Autor sich seitenlang Zeit dafür nimmt, ein Zimmer zu beschreiben. Das finde ich fantastisch. Denn die meisten Filme sind heute ganz und gar auf die Handlung fixiert. Dabei gehört eine gewisse Langeweile zum Kunsterlebnis einfach mit dazu. (Dieter Oßwald, DER STANDARD - Printausgabe, 25./26. Oktober 2011)