Die Rettung der Eurozone am Donnerstag in den frühen Morgenstunden wurde von Experten begrüßt und von Märkten gefeiert. Aber für Verfechter des Parlamentarismus waren die nächtlichen Entscheidungen ein Affront.

Da handelten Staats- und Regierungschefs hinter verschlossenen Türen Milliardenpakete mit massiven wirtschaftlichen und budgetären Folgen für alle beteiligten Staaten aus, ohne die gewählten Volksvertreter damit zu befassen. Zwar durfte der deutsche Bundestag wenige Stunden davor den Deal in seinen Grundzügen absegnen, aber eine echte Möglichkeit, die Ereignisse der folgenden Nacht zu beeinflussen, hatten die Abgeordneten nicht - und das mit gutem Grund.

Denn was Österreichs Rechtspopulisten bei der Nationalratssitzung am Freitag die Zornesröte ins Gesicht trieb und das deutsche Bundesverfassungsgericht dazu verleitete, die ganze Eurorettung noch einmal infrage zu stellen, ist eine unvermeidbare Folge der wirtschaftlichen und politischen Globalisierung. Wenn Staaten eng zusammenarbeiten müssen, um die Weltprobleme zu lösen, gibt es kaum Platz für nationale Parlamente - und fürs EU-Parlament in seiner jetzigen Form auch nicht.

Das liegt zum einen am Zeitfaktor: Parlamentarische Debatten und Entscheidungsabläufe dauern zu lange, um mit dem Tempo der Finanzmärkte und anderer globaler Kräfte mitzuhalten.

Aber es hängt auch an der Ausrichtung von Volksvertretern: Sie sind von Natur aus ihren Wählern verpflichtet und haben den Fokus auf das Lokale und das Partikulare gerichtet. Die oft schmerzhaften Kompromisse, die für größere Lösungen notwendig sind, widersprechen ihren ureigenen Interessen. Im besten Fall geben sie sich streichelweich, im schlechtesten aber legen sie den Regierenden Steine in den Weg, die den Gemeinschaftszug zum Entgleisen bringen - siehe etwa die erste Abstimmung der Slowakei zum Euroschirm.

Wer daher eine stärkere Einbindung nationaler Parlamente in die Europapolitik fordert oder sie - wie die deutschen Höchstrichter - mit recht fragwürdigen Verfassungsargumenten erzwingen will, der gefährdet jene Weiterentwicklung der EU, ohne die der Euro zum Scheitern verurteilt ist.

Auch weltweit ist die derzeit wichtigste Aufgabe die Schaffung einer "global governance", die bessere Kooperation bei Themen wie Finanzpolitik oder Klimaschutz ermöglicht. Dies können nur Regierungen bewerkstelligen, nicht Parlamente.

Für den typischen US-Abgeordneten ist all dies ein rotes Tuch. Das macht den selbstbewussten amerikanischen Parlamentarismus zu einem noch größeren Stolperstein für die Lösung globaler Probleme als Europas bedachtsamere Volksvertreter.

Der Irrtum liegt darin, dass Parlamentarismus allzu oft mit Demokratie verwechselt wird. Aber es ist durch und durch demokratisch, wenn legitimierte Regierungen handeln, ohne sich alle Entscheidungen von der Legislative oder gar dem Souverän absegnen zu lassen. Es reicht, wenn am Ende über das Ergebnis abgestimmt wird.

Und wer dann gar - wie etwa Kanzler Werner Faymann - fordert, jede EU-Vertragsänderung dem eigenen Volk zur Abstimmung vorzulegen, was natürlich auch für die 26 anderen Mitgliedsstaaten gelten muss, der will eigentlich kein Europa. Zumindest nicht eines, das zum Wohle seiner Bürger funktioniert. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 29./30.10.2011)