Fredrik Debong hat eine Diabetes-App fürs Smartphone entwickelt - eines von vielen Projekten, die auf dem SciBarCamp vorgestellt wurden.

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Auf den ersten Blick wirkt das Wissenschaftsbarcamp wie eine normale akademische Konferenz. Veranstaltungsort sind Hörsäle der Uni Wien, thematisch geht es um Wissenschaft und Technik. Doch der Eindruck täuscht, denn das SciBarCamp Vienna, das vergangenes Wochenende in familiärer Atmosphäre erstmals in Wien stattfand, ist laut den Veranstaltern das genaue Gegenteil, nämlich eine "Unkonferenz".

Während sich bei gewöhnlichen Konferenzen die Anwesenden in aktiv Vortragende und passiv Zuhörende aufteilen, sind solche Hierarchien beim Barcamp obsolet. Es gibt kein klassisches Publikum, sondern jeder darf - besser noch: soll - sich mit Vorträgen einbringen. Ohne die aktive Teilnahme kann ein Barcamp nicht funktionieren, denn ein fixes Programm existiert nicht. Es wird erst zu Beginn der Veranstaltung von den Teilnehmern erstellt.

Programm per Notizzettel

Die Regeln sind denkbar einfach: Es gibt pro Tag mehrere Sessions, die in 40 Minuten einen Vortrag inklusive anschließender Gruppendiskussion beinhalten sollen. Wer selbst einen Vortrag halten möchte, schreibt sein Thema auf einen grünen Notizzettel und klebt ihn auf einen papierenen Stundenplan, der für alle sichtbar angebracht wird. Wer dort einen blauen Notizzettel anklebt, möchte zu jenem Thema zwar nicht selbst referieren, aber gern jemanden anderen dazu anregen. So entstand an diesem Morgen ein diverses, interdisziplinäres Programm, das von "Science Journalism" über "Electrophobia as a health risk" bis hin zu "Denksport Rätsel" reicht. Was bei einem Barcamp tatsächlich herauskommt, kann man im Vorhinein nie wissen. Das erste Wissenschafts-Barcamp schien vielversprechend zu werden: Unter anderem referierte eine Künstlerin anhand ihrer Arbeiten über den Zusammenhang von Kunst und Wissenschaft, ein Jungunternehmer erläuterte, warum sich Videoüberwachung und Schutz der Privatsphäre nicht ausschließen, und Fredrik Debong berichtete von der Gründung seines Wiener Startups "Mysugr".

Debong hat gemeinsam mit einem Firmenpartner eine App entwickelt, um die Volkskrankheit Diabetes via Smartphone besser therapieren zu können. Die beiden sind wie mehr als 350 Millionen Leute weltweit selbst von der Zuckerkrankheit betroffen und haben für ihre innovative Idee bereits mehrere Preise gewonnen.

Nicht nur die Themen, auch die Teilnehmer waren bunt durchgemischt: Unter den etwa 45 Anwesenden gab es Studenten, Jungunternehmer, Professoren und Personalmanager auf der Suche nach potenziellen neuen Mitarbeitern. "Das Barcamp ist im Prinzip öffentlich für jeden - die Speaker werden auch nicht bezahlt", sagt die Organisationsleiterin Brigitte Dampier. Dass mit dieser Offenheit auch die Gefahr eines Qualitätsverlusts einhergeht, sei nicht der Fall: "Das Ziel eines Barcamps ist vor allem, den Leuten Raum zu geben und nicht im Vorhinein alles bestimmen zu wollen. Meistens entwickeln sich dann spannende Sachen", sagt Dampier. Und sollte einmal ein langweiliger Vortrag vorkommen, dann stehe es natürlich jedem frei, den Raum zu wechseln und einem anderen Sprecher zuzuhören.

Barcamp statt Kaffeepause

Das erste Barcamp geht auf den Schweizer Kunstkurator Hans Ulrich Obrist zurück. 1995 stand Obrist vor der Aufgabe, die passende Form zu finden, um Neurowissenschafter und Künstler zusammenzubringen. Erstere fühlten sich auf einer Ausstellung verloren, Letztere konnten mit einer klassischen Konferenz wenig anfangen. Außerdem, so fand Obrist, würde das wirklich Interessante bei Konferenzen ausschließlich in den Kaffeepausen besprochen.

Kurzerhand erklärte er seine Konferenz zur ausschließlichen Kaffeepause und ließ den Rest einfach weg. Daraus entstand das Konzept des Barcamps, welches Dampier nun mit Unterstützung vom Wirtschaftsministerium, und anderen Partnern auch im österreichischen Wissenschaftsbetrieb etablieren will. (DER STANDARD, Printausgabe, 02.11.2011)