60 lange Sekunden ließ Tobias Meyer am Abend des 2. Novembers das Gebot von 23 Millionen im Raum hängen. Dann dirigierte er weiter, bis zum "winning bid" von brutto 40,4 Millionen Dollar.

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Klimts Landschaftsbild "Litzlberg am Attersee".

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"Seeufer mit Birken": 1902 malte Gustav Klimt dieses Bild, das bis zur Entdeckung eines Sotheby's-Experten Anfang dieses Jahres als verschollen galt. Am 8. Februar 2012 gelangt es bei Sotheby's in London zur Auktion (Taxe 6-8 Mio. Pfund / 10-13 Mio. Dollar).

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Der Sensationspreis der Woche und ein Richtwert für "Seeufer mit Birken".

Wien/New York - Es sind Momente wie diese, die Tobias Meyer vom Rest der Kunstwelt und den Kollegen trennen. Er gilt nicht nur als Starauktionator, er ist es. Mit der Intensität seiner Gesten. Den zeitlich perfekt eingestreuten Sprüchen. Und vor allem Dank seiner Souveränität. Damit spielt er, auf höchstem Niveau. Ach ja, und er tut es im Namen von Sotheby's.

Zuletzt Mittwochabends im dicht gedrängten Auktionssaal in New York, als rund 70 Kunstwerke der Sparte Impressionist & Modern Art auf dem Versteigerungsprogramm standen. Tags davor hatte Konkurrent Christie's eine vergleichsweise miserable Performance geliefert. Für das gegenwärtige Klima an den Weltbörsen waren deren angesetzten Taxen schlicht zu aggressiv. Statt des angepeilten Umsatzes von bis zu 310 Millionen Dollar musste sich Christie's mit knapp 141 Millionen zufrieden geben, 38 Prozent des Angebots blieb unverkauft. Die verbleibenden Stunden zum Start der Auktion verschaffte Sotheby's Luft, auch um übertriebene Erwartungsflausen der Einbringer zu züchtigen.

Für das Starlot des Abends war derlei nicht notwendig. Dass Gustav Klimts vom Museums der Moderne Salzburg jüngst an George Jorisch, den Enkel Amalie Redlichs restituierte Gemälde verkauft würde stand fest, die Frage war lediglich für wie viel. "Litzlberg am Attersee", ein Zungenbrecher-Titel für 99 Prozent aller Anwesenden, hatte schon im Vorfeld weltweites Interesse generiert.

60 entscheidende Sekunden

18 Millionen Dollar nannte Meyer den Einstiegspreis und dirigierte zuerst vier, dann nur mehr zwei Sotheby's-Spezialisten bzw. deren Telefonbieter. Charles Moffett (Vice Chairman Impressionist & Modern Art) hatte 23 Millionen geboten. Dann war Pause. Eine unendlich lange Minute, in der Meyer das Gebot in der Luft hängen ließ. Unbarmherzig, wie es nur jemand von seiner Klasse sein kann. 

In Köln oder Wien hätte man in diesen Sekunden "zum Dritten" geplärrt und den Verkauf besiegelt. Nein, Meyer wusste es besser. Bei 23,5 Millionen schmiss sich ein Saalbieter ins Getümmel, Ebender, der bei 36 Millionen Dollar den Sieg davon trug. David Lachenmann heißt der Schweizer Kunsthändler, dessen Auftragskunde samt Käuferprovision in den nächsten Tagen 40,4 Millionen Dollar (29,3 Mio. Euro) überweisen wird. 

Im Februar 2010 hatte "Kirche in Cassone", das ebenfalls Amalie Redlich gehörte, bei Sotheby's in London umgerechnet 43,2 Millionen Dollar gebracht. "Unglaublich", gesteht George Jorisch im Gespräch mit dem STANDARD ein, "vor allem wenn man bedenkt, dass solche Preise früher unmöglich gewesen wären". Damals, in den Nachkriegsjahren, als zuerst sein Vater die Kunstwerke vergeblich zu finden versuchte. Auch später noch, als er Briefe an die österreichischen Behörden verfasste. Insofern hätte der jahrelange Kampf ja auch irgendwie sein Gutes gehabt. Hauptsächlich gehe es aber um Prinzipien, nicht um das Geld.

Natürlich werden seine vier Kinder und zehn Enkel davon profitieren, wobei "der Zehnte gilt ja nicht, der liegt nach einem Rugby-Unfall im Koma". Es bleibt eben alles irgendwie relativ. Freitags geht's zurück nach Montreal.

Auktionstermin für Klimts "Seeufer mit Birken"

New York bekam - trotz der Schrecksekunde Dienstagabend - dann doch noch den ersehnten Sensationspreis der Woche. Und die Fachwelt einen neuen Richtwert: Für Gustav Klimts verschollen geglaubtes "Seeufer mit Birken" (1902): Jenem Bild, das Philip Hook (Sotheby‘s Senior Spezialist Impressionist & Modern Art) in einer holländischen Privatsammlung entdeckte. Nicht Alfred Weidinger, wiewohl der Vizedirektor des Belvedere die Echtheit Anfang September bestätigte. Helena Newmann (Sotheby's Chairman Impressionist & Modern Art) bescheinigt dem 90 mal 90 cm großen Bild Starpotenzial, gilt im Landschafts-Oeuvre des Künstlers doch als Schlüsselwerk. 1902 hatten Richard und Klara Koenigs-Bunge das Werk kurz nach der Erstpräsentation in der Secession im Rahmen der "Deutsch nationalen Kunst-Ausstellung" in Düsseldorf für einen unbekannten Betrag erworben. Von der Öffentlichkeit der Kunstforschung unbemerkt blieb es seither im Besitz der Familie. 

Dem STANDARD exklusiv vorliegenden Informationen zufolge gelangt es am 8. Februar 2012 bei Sotheby‘s (London) zur Auktion. Und soll wenigstens zehn, wenn nicht 13 Millionen Dollar einspielen. (Olga Kronsteiner, DER STANDARD - Printausgabe/Langfassung, 4. November 2011)