Vigilius Mountain Resort Hotel: Vigiljoch, 39011 Lana, Tel.: 0039/0473/55 66 00

Wie ein Baum streckt sich das Vigilius Mountain Resort Hotel in Südtirol nach Plänen des italienischer Stararchitekten Matteo Thun.

Foto: Vigilius Mountain Resort Hotel

Während der gesamten Gondelfahrt lässt der Mann sein Fahrrad nicht aus den Augen. 1200 Meter schwebt die Seilbahn von der Talstation in Lana hinauf aufs Vigiljoch. Vorbei an Edelkastanien, vorbei an goldgelben Lärchen und - je weiter man nach oben kommt - an fantastischen Ausblicken auf die Südtiroler Alpen von Rosengarten, Schlern über Ritten und Mendelkamm bis zur Texelgruppe sowie Tiefblicken ins Etschtal. Der Mann, schwarzes Trikot, Sportbrille auf der Nase, beobachtet die Szenerie aus den Augenwinkeln. Den Drahtesel hält er am Sattel fest, damit an den Stützen, wenn die Kabine in schwingende Bewegung gerät, nichts passiert. Der Mann gibt Rätsel auf. Was macht er auf dieser Höhe mit einem Renner, dessen Reifen so dünn wie Damenringfinger sind, in einer Gegend ohne befestigte Straßen?

Denn wer ins Vigilius Mountain Resort will, lässt das Auto am überwachten Parkplatz stehen, schlichtet die Koffer in den Gepäckwagen und steigt in die Seilbahn. Oben angekommen, betreten Gäste eine andere Welt. Das bedeutet zuerst: Entschleunigung, denn hier gilt nicht nur auto-, sondern sogar rennradfreie Zone: Fortbewegung ist am Vigiljoch nur zu Fuß oder per Mountainbike möglich. Während im Etschtal die nach Erholung Hetzenden die Topspots im westlichen Südtirol abklappern, herrscht hier oben Ruhe, und zwar wirklich.

"Flüsterhotel", nennen manche Gäste die Wirkung, die das Vigilius auf sie ausübt. Zu erklären ist das nicht wirklich, aber erahnen lässt sich schon, woran das liegt.

Eine vorausschauende Architektur ermöglicht das Runterkommen in der Höhe. Verantwortlich dafür ist der Italiener Matteo Thun, der in einer Mischung aus Lärchenholz, Glas, Lehm und Stein eine Oase der Stille schuf, auf die sich die Gäste unaufgefordert einlassen und selbst ihren inneren Lautstärkenregler nach unten stellen.

Gründer des Hotels ist Ulrich Ladurner, vorn dabei am Markt für glutenfreie Nahrung. Ladurner stammt aus Meran und wollte vor inzwischen acht Jahren aus dem verfallenen Berghotel etwas Besonderes machen. Der Bozener Architekt Matteo Thun hat bei seinen Projekten den "Homo Universalis" im Auge und trifft damit den Gusto der Zeit. Jüngstes Glanzstück des Stardesigners ist eine Filiale der Italorestaurantkette Vapiano am Westbahnhof. Thun legte Ladurner ein Haus in der Form eines Baumes vor: Der Riese sollte sich auf dem Hügel ausbreiten und sein Inneres ein Modell der Natur draußen sein. "Die Leute in Lana waren skeptisch", sagt Andreas, der als eine Art Zeremonienmeister für stimmige Freizeitunterhaltung der Gäste wie Wandern, Bogenschießen oder die asiatische Bewegungstherapie Watsu sorgt. "Sie sagten, die Gegend hat als Skigebiet keine Funktion", erzählt Andreas. "Wie soll das gehen? Der spinnt doch!", meckerten sie. Wie bei seiner Idee der glutenfreien Nahrung glaubte Ladurner an seine Idee und setzte sich durch.

"Du wirst es nicht schaffen, diesen Platz schöner zu machen, als er ist", sagte Ladurner zu Thun, in der Hoffnung, der Architekt werde ihn eines Besseren belehren. Thun strengte sich an und kümmerte sich um jedes Detail. Im Vigilius dominieren die weichen Brauntöne, durchbrochen von roten Sitzkissen auf der "Piazza", dem offenen Bar- und Empfangsbereich, von dem aus der Sonnenuntergang zu bestaunen ist, während im Kamin das Feuer flackert.

In den Zimmern sorgen die Lamellenbänder für den Eindruck eines lichten Waldes. Fernseher braucht es bei diesen Ausblicken nicht. Auf eine kulinarische Reise lädt Chefkoch Mauro Buffo und lässt sich dabei von den Küchen zwischen Meran und Venedig inspirieren.

Der Indoor-Pool mit Blick auf Lärchen und Berge ist mehr zum Schweben als zum Plantschen gedacht. Das Vigilius versteht sich nicht als Kinderhotel. Lärmende Großgruppen werden moderat erlaubt. Nichts und niemand soll das Flüstern stören. Wer nicht reden darf, soll schreiben, sagten sich die Vigilianer und gründeten ihre eigene Buchedition: Professionelle Autoren wie Herbert Rosendorfer und talentierte Hobbyschriftsteller verewigen sich in den Bändchen, das seit 2008 bereits dreimal erschienen ist.

Während auf den Bergen nebenan skischaukeltrunkene Pistenfans an den Liften Schlange stehen, bleiben hier die Abfahrten leer. Wegen des Skifahrens auf den wenigen Pisten kommt keiner hierher. Schneeschuhwandern, Langlaufen, Winterspaziergänge passen besser zur Stille.

Das Rätsel des Mannes mit dem Bike bleibt übrigens ungelöst. (Doris Priesching/DER STANDARD/Printausgabe/05.11.2011)