Filmemacherin Nina Kusturica in ihrem Wohnzimmer, wo sie am liebsten arbeitet, wenn sie Ruhe braucht.

(Foto: Lisi Specht)

Foto: Lisi Specht

Für die Filmemacherin Nina Kusturica ist eine Wohnung auch eine Bestätigung, an einem Ort sein zu dürfen. Michael Hausenblas besuchte sie in ihrem Zuhause in Wien.

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"Ich bin am Anfang des Krieges von Sarajevo nach Wien geflüchtet. Das war 1992. In den ersten Jahren habe ich an circa 30 verschiedenen Orten gewohnt. Darunter waren unter anderem ein geteiltes Zimmer in einer WG mit fünf Jagdhunden, ein Keller einer Villa im Wienerwald mit Nullgraden im Winter und das Studentenheim, in dem meine Schwester wohnte. So habe ich Wien auf besondere Art kennengelernt. Ich lebte zu dieser Zeit nur aus dem Koffer, und jede Wohnsituation war ein Film für sich. Ich wartete damals sehnsüchtig auf eine Möglichkeit, mir wieder ein eigenes Zuhause einrichten zu können. Das passierte schließlich vor zwölf Jahren.

Diese Wohnung im 3. Wiener Bezirk ist gemietet, und ich lebe auf 70 Quadratmetern mit meinem Mann Gordin Zupkovitz. Er arbeitet als Molekularbiologe. Betritt man unser Zuhause, kommt man durch einen langen Schlauch in die Küche mit ihren roten Wänden. Die Küche ist das Herz der Wohnung. Sehr viel bedeutet mir der Baum vor dem Fenster. Mit dieser Akazie mache ich die vier Jahreszeiten durch. Von der Küche gelangt man ins Wohn- und weiter ins Schlafzimmer. Und von dort wieder in den erwähnten schmalen Gang. Man könnte in dieser Wohnung also auch endlos spazieren gehen.

Unser Zuhause ist kommunikativ. Man kann sich hier nicht verschanzen. Auch stehen immer alle Türen offen. Mein Lieblingsplatz ist der große Esstisch, an dem ich gerne arbeite, wenn ich Ruhe zum Schreiben brauche. Hier sind zudem alle Bücher griffbereit. Auch die verschiedenen Farben an den Wänden sind ein wichtiges Element dieses Ortes. An ihnen sehe ich das Licht in seinen vielen Formen. Ach ja, und ich liebe Punkte. Sie sind so perfekt und einfach zugleich.

Ich mag unser Daheim sehr gern, auch wenn ich es eigentlich für ein bisschen zu klein halte und ich gern noch ein Stückchen Himmel hätte - vielleicht eine Terrasse. Wir schauen uns immer wieder Wohnungen an, haben aber noch keine gefunden, die uns passt.

Eine Wohnung ist für mich mehr als ein Platz zum Leben. Eine Wohnung ist auch eine Bestätigung, an einem Ort sein und leben zu dürfen. Unsere Wohnung in Sarajevo wurde im Krieg durch eine Granate zerstört. Als ich sie zum ersten Mal wiedersah, gab es keinen Plafond mehr. Vielleicht ist es für jemanden wie mich aus diesem Grund auch schwerer, eine Wohnung aufzugeben. Umzuziehen würde einen Riesenschritt bedeuten.

Das alles hier hat sich mit mir entwickelt. Am Anfang hatte ich nicht einmal ein richtiges Bett. Außerdem spricht dieses Zuhause mit mir. Es ist eine Art Spiegel, der auch trotzig sein kann. Wenn ich hier mit 30 Festplatten von einem neuen Filmprojekt antanze, dann passt ihr das gar nicht. Ich würde dennoch sagen, diese Wohnung ist multitaskingfähig. Wir können alles immer wieder umstellen und Dingen neue Funktionen zuteilen. Nur der Fernseher an der Wand hat sich einen fixen Platz erobert.

Ich brauche immer ein wenig Zeit, bis ich mich mit Möbeln anfreunde. Zunächst beobachte ich sie skeptisch, aber dann entwickelt sich eine Beziehung, und ich beginne sie gernzuhaben. Was mir überhaupt nicht zusagt, sind alte Dinge, obwohl mir viele Antiquitäten gefallen. Das Problem ist, dass ich immer die Geschichte zu den Stücken wissen möchte. Wo stand es? Wer hat es benützt? Und wie?

Besondere Vertrautheit entwickle ich zu jenen Räumen, in denen wir filmen. Nach einer gewissen Zeit entsteht eine Art Sehnsucht nach ihnen, wie nach alten Freunden. Es heißt, Kriminelle, Verliebte und Filmmenschen kehren an die Orte ihres Handelns zurück." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5./6.11.2011)