"Mit dem Finger auf die Griechen zu zeigen mag der Emotion entsprechen" - es helfe aber niemandem, kritisiert Heinz Fischer den "egoistischen Populismus" der Rechten in Österreich.

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Standard: Gratuliere zu Ihrem Fallschirmsprung. Gab es eigentlich auch kritische Stimmen?

Fischer: In diesem Fall waren sie überwiegend positiv. Aber es hat auch Einzelne gegeben, die kritisiert haben, ein Präsident dürfe sich einem solchen Risiko nicht aussetzen oder hat wichtigere Dinge zu tun, als sich an einer Truppenübung zu beteiligen.

Standard: Die Fotos waren auch ein Marketinginstrument, um Ihrer neuen Homepage eine erhöhte Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wie wichtig ist Marketing als Instrument in der Politik?

Fischer: Ich bin wirklich sehr sparsam mit Marketing. Sie werden nie Inserate von mir oder der Präsidentschaftskanzlei finden. Aber natürlich ist es so, dass in der Politik drei Dinge wichtig sind: Programm, Personen und Praxis. Man kann nicht völlig darauf verzichten, auch die Person ins rechte Licht zu rücken. In einer Zeit, da die Personalisierung der Politik ein unleugbares Faktum ist, muss man eben einen gewissen Arbeitsaufwand auch für die Darstellung einer Person verwenden.

Standard: Wie wichtig ist denn das Internet für einen Politiker?

Fischer: Vor zehn Jahren war das praktisch kein Thema. Allein in den sechseinhalb Jahren, in denen ich Bundespräsident bin, ist es immer wichtiger geworden. Ich glaube, wir waren rechtzeitig dran, wir haben zeitgerecht angefangen.

Standard: Immerhin noch vor dem Bundeskanzler.

Fischer: Ich stehe da in keinem Wettstreit mit dem Kanzler.

Standard: Sie werden im TV von Stermann und Grissemann parodiert. Haben Sie das gesehen?

Fischer: Gibt es da schon wieder neue Folgen? Ich habe viel davon gehört.

Standard: Hat Sie das nicht gejuckt, das einmal anzuschauen?

Fischer: Mich juckt ein Juckpulver und nicht ein Kabarett. Ein paar Folgen habe ich gesehen. Aber ich sehe es als Zeichen des Interesses, also positiv, wenn man in ein Kabarettprogramm Eingang findet oder zum Gegenstand von Karikaturen wird. Da eignen sich meine Augenbrauen und manches andere ganz gut.

Standard: Derzeit läuft das Bildungsvolksbegehren. Würden Sie als Privatperson unterschreiben?

Fischer: Ich werde es als Bundespräsident einer bewährten Tradition folgend nicht unterschreiben. Aber ich zögere nicht zu sagen, dass ich Bildungsfragen für sehr, sehr wichtig halte und dass es verdienstvoll ist, wenn man in die Bildungspolitik Dynamik erzeugt, Diskussionen auslöst und wertvolle Reformbemühungen unterstützt. Ich unterstütze das Anliegen, Bildung zu forcieren.

Standard: Im Parlament hat sich der Untersuchungsausschuss zu den Korruptionsvorwürfen im Umfeld staatsnaher Betriebe konstituiert. Haben Sie eine Erwartungshaltung an diesen Ausschuss?

Fischer: Das, was bisher bekannt und durch Indizien erhärtet wurde, ist absolut empörend. Es war richtig, einen Ausschuss einzurichten. Damit besteht die Chance, politische Verantwortung aufzuklären. Aber es ist eine wahre Herkules-Aufgabe. Und niemand kann die Garantie abgeben, dass man am Schluss mit der Arbeit des Ausschusses glücklich sein wird. Ich möchte alle Mitglieder des Ausschusses darin bestärken, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein und nicht irgendwelche parteipolitische oder sonstige Einzelinteressen zu bedienen.

Standard: Wie soll die Politik aus diesem Schmuddeleck der Korruptionsvorwürfe herauskommen?

Fischer: Indem man Konsequenzen zieht. Gewisse Leute, die sich allzu sicher gefühlt und geglaubt haben, alles ist möglich, sind bereits in die Schranken gewiesen worden. Diese heilsame Präventivwirkung wird hoffentlich anhalten. Jeder, der im öffentlichen und im wirtschaftlichen Leben tätig ist, muss wissen, dass man ihm auf die Finger schaut. Dass man Gesetze befolgt, ist selbstverständlich. Aber es müssen darüber hinaus Kriterien von Fairness, Ethik und Moral erfüllt werden.

Standard: Das Thema, das derzeit alles überschattet, ist die Währungskrise. Ist der Euro aus Ihrer Sicht noch zu retten?

Fischer: Der Euro ist nicht in Gefahr. Aber die Problematik der Überschuldung, einer mangelnden Finanzdisziplin hat in Zusammenhang mit unzulässigen Finanzspekulationen und einem Einbruch des Vertrauens eine sehr schwierige Situation geschaffen.

Standard: Derzeit scheint sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung eine gewisse Ratlosigkeit, wie es weitergeht, um sich zu greifen. Da kann man fast schon die aufkommende Panik spüren.

Fischer: Es ist eine schwierige Situation. Politiker wären gut beraten, wenn sie nicht jeden Tag neue Thesen und Behauptungen in den Raum stellen würden, die nach wenigen Tagen wieder überholt sind. Es gibt nicht nur ökonomische Probleme, es gibt auch ein ganz massives Vertrauensproblem. Also muss man mit Äußerungen sehr vorsichtig sein. Es gibt kein Patentrezept. Aber diejenigen, die politische oder wirtschaftliche Verantwortung tragen, müssen sich der Komplexität der Situation bewusst sein. Hüftschüsse irgendwelcher Art sind nicht angebracht, genauso wenig wie Geschwätzigkeit. Aus meiner Sicht ist es notwendig, dass Kanzler, Finanzministerin, Vizekanzler, Nationalbankgouverneur und andere Persönlichkeiten einander stützen und kooperieren. Das funktioniert in Österreich recht gut, aber es sollte auch international funktionieren.

Standard: Wem vertrauen Sie in dieser Situation?

Fischer: Ich vertraue der Leistungsfähigkeit der österreichischen Volkswirtschaft und der gemeinsamen Erfahrung und Klugheit der vorhin genannten Personen. Wir haben das Glück, einen hervorragenden Nationalbankgouverneur zu haben. Ich sehe es positiv, wie sehr sich die Regierungsmitglieder in dieser Frage um gemeinsame Standpunkte bemühen. Ich vertraue darauf, dass Österreich international gut vernetzt ist. Gerade unlängst habe ich mit dem griechischen Präsidenten telefoniert.

Standard: Ist er sehr verzweifelt?

Fischer: Er macht sich große Sorgen. Ich vertraue aber darauf, dass es keine unlösbare Situation gibt. Es gibt Situationen, die sind leichter, und andere, die sind schwerer zu lösen. Die momentane Situation ist alles andere als einfach.

Standard: Wie erklären Sie den Österreichern, dass sie sich an der Hilfe für Griechenland beteiligen müssen?

Fischer: Die Antwort ist schon vielfach gegeben worden: Wir zahlen nicht für "die Griechen", sondern für eine stabile Zukunft der europäischen Wirtschaft. Diese stabile Zukunft ist derzeit in besonderem Maße durch die Situation in Griechenland gefährdet. Aber wenn man für die Situation keine Lösung findet, schafft man sich Probleme, die weit über die Grenzen Griechenlands hinausreichen.

Standard: Sind die Griechen selbst schuld?

Fischer: Mit dem Finger auf die Griechen zu zeigen mag den Emotion entsprechen, hilft aber niemandem. Hauptaufgabe muss es sein, die Situation in vertretbarer Zeit zu überwinden. Dieses Ziel werden wir nur mit Disziplin, mit Klugheit und einem gewissen Ausmaß an Solidarität erreichen.

Standard: Dafür zahlen wir gewissermaßen einen politischen Preis. Das Thema eignet sich bestens für einen populistischen Zugang, und den hat die Rechte längst gefunden. Die faulen Griechen sind als Erklärung gut und einfach verständlich.

Fischer: Demokratie ist keine leichte Regierungsform. Eine simple Unwahrheit kann man oft leichter verkaufen als eine komplizierte Wahrheit. Aber wir müssen uns an der Wahrheit orientieren, auch wenn sie kompliziert ist. Ich vertraue den Österreichern und Österreicherinnen, auch wenn die Gefahr besteht, dass populistische Unwahrheiten leichter ankommen als komplizierte Wahrheiten. Aber das Potenzial an Klugheit im Land muss größer sein als das Potenzial an egoistischem Populismus.

Standard: Laura Rudas hat den Wechsel zu einem Mehrheitswahlrecht vorgeschlagen, bei dem der Stimmenstärkste die absolute Mehrheit minus ein paar Mandaten erhält. Wie stehen Sie dazu?

Fischer: Das Verhältniswahlrecht ist sehr bewährt, auch für ein Mehrheitswahlrecht gibt es gute Argumente. Aber von "Spezialerfindungen" halte ich nichts. Das ist eine Gedankengeburt aus der momentanen politischen Konstellation. Der Gedanke, dass etwa eine Partei mit 30 Prozent der Stimmen 49 Prozent der Mandate haben könnte und eine Partei mit 29 Prozent der Stimmen 19 Prozent der Mandate, das will die österreichische Bevölkerung sicher nicht. Und wenn man das konsequent durchdenkt, kommt man zu sehr problematischen Konstellationen.

Standard: Was steht adrenalinmäßig nach dem Fallschirmsprung als Nächstes auf dem Programm?

Fischer: Ich bin ein ziemlich ausgeglichener Mensch, ich habe das nicht wegen des Adrenalinkicks gemacht, sondern weil ich das Bundesheer ernst nehme und weil das eine Chance war, dem Bundesheer einen Vertrauensbeweis zu erbringen. Auf unser Bundesheer kann man sich verlassen. (Saskia Jungnikl und Michael Völker, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5.11.2011)