Ausgerechnet am Nationalfeiertag wurde in Brüssel eine möglicherweise weitreichende Übertragung einzelstaatlicher Rechte an die EU eingeleitet. Beim Euro-Gipfel wegen des vereinbarten griechischen Schuldenschnitts völlig untergegangen sind nämlich neue Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs zur Haushaltskontrolle.

Konkret heißt es in einer Passage des Abschlussdokuments: "Für dem Euro-Währungsgebiet angehörende Mitgliedsstaaten im Defizitverfahren werden die Kommission und der Rat ermächtigt, die Entwürfe der nationalen Haushaltspläne vor der Annahme durch die jeweiligen nationalen Parlamente zu prüfen und dazu Stellung zu nehmen. Ferner wird die Kommission den Haushaltsvollzug überwachen und erforderlichenfalls im Laufe des Jahres Änderungen vorschlagen."

Österreich zählt zu der großen Schar von Staaten, gegen die wegen der mehr als drei Prozent liegenden Neuverschuldung ein Defizitverfahren eingeleitet worden ist. Theoretisch können am Ende dieses Prozesses Geldbußen verhängt werden, sollte ein Land dem auferlegten Abbau der Neuverschuldung nicht nachkommen. Allerdings sind die konkreten Budgets trotz der stärkeren Abstimmung der Finanzpolitik nach wie vor nationales Recht.

Vereinbart worden war bisher im Rahmen des "Europäischen Semesters" lediglich, dass die Haushalte erst nach einer Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik erstellt werden sollen. Das würde sich durch den von Kanzler Werner Faymann mitgetragenen Beschluss nun drastisch ändern. So müsste bereits das jetzt in parlamentarischer Behandlung befindliche Budget 2012 einer Vorabkontrolle durch Rat und Kommission unterzogen werden.

Im Kanzleramt wird die Sache heruntergespielt. Zur Umsetzung der Gipfelerklärung bedürfe es noch eines entsprechenden Entwurfs der Kommission und Beschlusses desselben, heißt es. Diese Auffassung wird im Finanzministerium geteilt. Anderenfalls hätte Österreich nämlich ein ziemliches Problem, verlangt doch Brüssel eine jährliche Defizitreduktion von 0,75 Prozent und damit weit mehr, als die Regierung vorhat. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.11.2011)