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Andreas Schieder: "Offenbar erwarten sich die Finanzmärkte sichtbare Regeln. Wir können nicht sagen, uns ist das wurscht."

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STANDARD: Vor kurzem haben Sie eine Schuldenbremse noch als "unnötig" bezeichnet. Warum wollen Sie jetzt trotzdem eine?

Schieder: Weil sich die Diskussion in der EU auf diese Frage zugespitzt hat. Der Rat der Regierungschefs hat ja beschlossen, dass sämtliche Länder eine Schuldenbremse einführen sollen ...

STANDARD: ... und Kanzler Werner Faymann hat sich nicht getraut zu widersprechen?

Schieder: Es war schon gescheit, dass der Kanzler mitgemacht hat. Offenbar erwarten sich die Finanzmärkte sichtbare Fiskalregeln, die unterstreichen, dass Schulden und Budgetdefizit bekämpft werden. Da kann Österreich nicht einfach sagen: Uns ist das wurscht, wollen wir nicht unseren guten Status riskieren. Also sind wir gut beraten, jene Schwächen zu beseitigen, die Analysten kritisieren. Das ist eine weitere Antwort auf die Turbulenzen der Märkte in der Folge des Griechenland-Dilemmas.

STANDARD: Sie haben einst gewarnt, dass eine Schuldenbremse den politischen Spielraum einschränke, um in künftigen Krisen die Wirtschaft anzukurbeln. Gilt das plötzlich nicht mehr?

Schieder: Unser Vorschlag soll diese Gefahr ausschließen. Es gibt einen Krisenvorbehalt: Bei Sondersituationen kann eine einfache Mehrheit im Parlament abweichende Maßnahmen beschließen. Konjunktur- und Bankenpakete wie 2008 und 2009 wären weiterhin möglich - und zwar schnell. Deshalb bin ich gegen die Idee der ÖVP, mit Zweidrittelmehrheit eine Schuldengrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) festzuschreiben. Eine rasche Reaktion wäre damit in der Krise nicht möglich.

STANDARD: Wie wollen Sie dann bremsen?

Schieder: Wenn die 60 Prozent überschritten sind, sollen die fixen Ausgaben langsamer wachsen als das nominelle BIP - außer es gibt eine Gegenfinanzierung. Ausgenommen sind variable Ausgaben, etwa für Arbeitsmarktpolitik, Bildung und Forschung. Gleichzeitig soll unsere Bremse aber auch unfinanzierbare Steuerzuckerln verhindern.

STANDARD:Inwiefern?

Schieder: Solange die Schuldenquote über 60 Prozent liegt, dürfen Abgaben nur dann gesenkt werden, wenn es Gegenfinanzierung gibt. Ich schlage auch vor, dass wir etwaige Einnahmen aus vermögensbezogenen Steuern dann zum Schuldenabbau verwenden.

STANDARD: Wenn die Bremse nicht in der Verfassung steht, kann sich jede Regierung jederzeit darüber hinwegsetzen.

Schieder: Sehr wohl wollen wir das Ziel eines strukturell ausgeglichenen Haushaltes in der Verfassung festschreiben. Das betrifft auch die Länder, die alle Grundprinzipien umsetzen müssen, die für den Bund gelten. Ich will ein klares Signal: Niemand darf mehr Schulden verstecken. Und natürlich gelten alle EU-Vorgaben. Aber keine Regel der Welt löst das Schuldenproblem allein. Abbau funktioniert nur mit strikter Budgetpolitik plus Wachstumselementen - da kann ich in die Verfassung schreiben, was ich will.

STANDARD: Werden die Schulden nicht ohnehin explodieren, weil die EU künftig die Verbindlichkeiten der Asfinag einrechnet?

Schieder: Ich gehe davon aus, dass die Asfinag weiterhin zur Privatwirtschaft gerechnet wird, zumal die unternehmerische Tätigkeit stärker ist als die öffentliche. Doch selbst wenn nicht, halte ich unser Triple-A für nicht gefährdet. Das Rating bewertet die gesamtwirtschaftliche Situation und nicht nur die Schuldenquote - sonst müssten die Deutschen wesentlich schlechter liegen. Aber eines kann man leider nie ganz ausschließen: dass in irgendeiner Ecke des Landes noch versteckte Schulden schlummern.(Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 10.11.2011)