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Straßenstrich in Wien: Die Frauen kommen fast alle aus dem Ausland - wie selbstbestimmt das ist, bleibt offen.

Foto: AP/PETER DEJONG

Wien - Der Videoclip spielt alle ungustiösen Stücke: ein schummriges Hotelzimmer, ältere Frauen, offenbar gutsituiert, geben einander die Klinke in die Hand, ein junger Prostituierter, der zwischen ihren Schenkeln versinkt - und sich danach mit traurigem Gesichtsausdruck Zähne putzt. Am Ende dann die "Pointe": "Das ist die tägliche Lebensrealität prostituierter Personen. Prostitution ist eine Form von Gewalt und Unterdrückung."

Der Clip ist Teil der Anti-Prostitutions-Kampagne der "Europäischen Frauenlobby", einer NGO, der 2500 Frauen-Dachorganisationen in 30 Ländern angehören. Er soll die tradierte Sicht auf Prostitution verändern.

Der Kampagne haben sich fast alle Mitglieder angeschlossen - bis auf drei: Deutschland, die Niederlande und Österreich. Christa Pölzlbauer vom Österreichischen Frauenring sagt, sie habe den Clip "entsetzlich" gefunden: "Man hat Mitleid mit dem jungen Mann." Bewusstseinsänderung erreiche man so nicht, fürchtet Pölzlbauer. Nicht einmal mit dem Ziel der Kampagne, Prostitution selbst zu verdammen, ist die Frauenring-Chefin vorbehaltlos einverstanden.

Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern, wo Feministinnen, NGOs und Politik teils heftig diskutieren, ob Prostitution als "Form der Gewalt und Unterdrückung von Frauen" gebannt werden muss, findet diese Debatte in Österreich kaum statt.

NGOs wie der Migrantinnenverein Lefö oder sophie (BildungsRaum für Prostituierte) konzentrieren sich seit Jahren darauf, die Arbeitsbedingungen Prostituierter so zu verbessern, dass "selbstbestimmte Sexarbeit" in Österreich möglich wird. Der Bann von Prostitution steht nicht auf der Agenda. Bei beiden Organisationen war für den Standard niemand zum Thema zu sprechen.

Peter Goldgruber von der Wiener Polizei bezweifelt, dass "speziell am Straßenstrich selbstbestimmt gearbeitet wird". Von den rund 120 am Wiener Straßenstrich arbeitenden Prostituierten würden zwei Drittel aus dem Ausland nach Wien gekarrt. Goldgruber: "Ich behaupte, die meisten würden allein gar nicht zum Auhof finden." Ein generelles Verbot sieht er skeptisch. Aber das Wiener Gesetz sei ein Schritt in die richtige Richtung, weil: "Erstmals werden auch die Männer bestraft, wenn sie Sex in Verbotszonen kaufen."

Wiens Frauenstadträtin Sandra Frauenberger bekennt, dass "zwei Seelen in meiner Brust wohnen". Ihr falle es schwer, "politisch korrekt von Sexarbeit" zu sprechen, weil "es mir widerstrebt, dies als normale Arbeit zu betrachten". Dennoch sei sie gegen ein generelles Verbot wie in Schweden.

Rolle der "Freier"

Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hat andere Prioritäten: "Das OGH-Urteil, das Prostitution für sittenwidrig erklärte, gilt seit 22 Jahren. Es ist hoch an der Zeit, das abzuschaffen", sagt sie zum Standard. Sie fordere Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) "dringend" auf, tätig zu werden. Danach sei sie gern bereit, über Fragen wie etwa Kondompflicht für "Freier" zu reden. Die grüne Frauensprecherin Judith Schwentner sieht das ähnlich: "Wir müssen den bigotten Umgang mit dem Thema diskutieren." Flüchtlingshelferin Ute Bock gibt zu bedenken, "dass Prostitution die einzige Arbeit ist, die Asylwerberinnen machen dürfen". Ein Verbot bringe gerade diese Frauen "noch mehr ins Elend".

In Schweden sieht man das anders (siehe Artikel unten): Stockholms Kripo-Chefin Kaisa Wahlgren etwa sagt, Schweden habe ein weitaus geringeres Problem mit Menschenhandel als etwa Deutschland oder Österreich.

Die Psychoanalytikerin und Universitätsprofessorin Rotraud Perner könnte der schwedischen Position einiges abgewinnen, aber: "Das wird nicht passieren, die Pornoindustrie macht erfolgreich Werbung in die Gegenrichtung." Man müsse "auch die Psyche der Kunden ansehen", sagt sie, denn: "Am Ende hat niemand etwas von seelenlosem Sex. Die Frauen werden krank, und auch den Männern hilft es nichts. Positive Lebensenergie kann man so nicht bekommen." (Petra Stuiber, DER STANDARD/Printausgabe 11. November 2011)