Beweisführung in Sachen Kriegsverbrechen: Heidi Specognas mit dem 3sat-Preis ausgezeichnete Doku-Recherche "Carte Blanche" begleitet Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofs.

Foto: Duisburger Filmwoche

Zugabe: ein filmmusikalisches Unikat.

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In Großaufnahme fliegen Finger über Tasten, schnell und immer schneller, bis sie kaum noch wahrnehmbar sind. Während das legendäre Alexander-von-Schlippenbach-Trio, bestehend aus dem Namensgeber am Klavier, Paul Lovens (Schlagzeug) und Evan Parker (Saxofon), eine seiner freien Improvisationen auf- und immer furioser ausbaut, bleibt die Kamera ruhig auf jene Schnittstelle von Instrument und Körper gerichtet, an der die Klangerzeugung vonstattengeht.

Aber das Wort Hund bellt ja nicht heißt Bernd Schochs 48-Minüter: ein ebenso kluger wie mitreißender Musikfilm, der seinen Protagonisten hochkonzentriert bei der Arbeit zusieht. Dazwischen lässt er sie in kurzen Off-Statements ein bisschen was erzählen von der "Ente mit Rotkohl und Knödeln", für die man auf der alljährlichen Wintertour immer wieder mal gerne die Autobahn in Richtung Dorfgasthaus verlasse, oder vom Improvisieren, dessen Kunst auch im Weiterspielen bestehe.

Bei der am Sonntag zu Ende gegangenen 35. Duisburger Filmwoche erhielt Schoch (Slide Guitar Ride, 2005) für seinen Film den Arte-Doku-Preis. Im Programm des diesjährigen Festivals des deutschsprachigen Dokumentarfilms markierte Aber das Wort Hund ... außerdem eine relativ solitäre Position: Zwischen (auto-)biografischen Arbeiten und Konfrontationen mit kulturellen Phänomenen oder gewichtigen Welt-Themen bot er das reflektierteste und überzeugendste Zusammenspiel von filmischen Mitteln und (musikalischem) Gegenstand.

Dabei wird in Duisburg generell nach wie vor ein hohes Reflexionsniveau gehalten. Und das bezieht sich nicht nur auf die Gepflogenheit, jede Arbeit im Anschluss an die Vorführung ausführlich zu besprechen. Die Protokolle dieser teils hitzig geführten und zumindest immer informativen Debatten sind jetzt erstmals komplett im Netz nachzulesen. Die kreativ ausgeführten Mitschriften ergeben gesammelt eine schöne Nachlese zum dokumentarischen Kino der letzten Jahrzehnte.

Warten als Erfahrung

Vom diesjährigen Festival bleibt außerdem hervorzuheben: Fremd, das Debüt der deutschen Kamerafrau Miriam Faßbender, das Mohamed aus Mali und Jerry aus der Zentralafrikanischen Republik in Etappen nach Marokko begleitet, wo Europa, ihr unerreichbares Ziel, bereits in Sichtweite liegt. Zeit und Geld unterliegen auf dieser jahrelangen Reise ganz eigenen, prekären Zusammenhängen. Es bilden sich vorübergehend Notgemeinschaften, improvisierte Lager. Zur zentralen Erfahrung wird jedoch das Warten - auf Arbeit, auf den Schlepper; bei bitterer Kälte oder in der Sommerhitze. Am Ende dieses eindringlichen Films steht zu lesen, dass einer der beiden jungen Männer inzwischen aufgegeben hat.

Am anderen Ende des Programmspektrums bewegte sich Thomas Imbachs Day is done: Aufnahmen aus Imbachs Zürcher Studiofenster, die aus unterschiedlichen Perspektiven in fast zwanzig Jahren entstanden sind, verbinden sich mit großteils sehr persönlichen Anrufen, welche zwischen 1988 und 2003 auf dem Anrufbeantworter des Filmemachers eingingen.

Das Ergebnis ist ein luzides, fragmenthaftes Selbstporträt in Außenansichten. Nur Duisburg-Protokoll gibt es dazu keines: Der Filmemacher hatte sein Kommen leider kurzfristig abgesagt. (Isabella Reicher, DER STANDARD - Printausgabe, 15. November 2011)