Doris Neumann-Rieser: "Literatur ist mein Werkzeug."

Foto: R. Appelt

Auf Bertold Brecht stieß sie im Proseminar. Doris Neumann-Rieser bezeichnet den Dramatiker als entscheidend für ihren Werdegang. Brechts konstante Anregung, "selbst zu denken", sieht sie als das wesentlichste Element von Wissenschaft.

Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Uni Wien beschäftigt sich seit einem Jahr intensiv mit politischer Nachkriegsliteratur aus Österreich. In dem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt analysiert sie "Diskurse des Kalten Krieges. Figuren des Politischen in der österreichischen Literatur zwischen 1945 und 1966 im Kontext". Dabei will sie Erzählschemata, wiederkehrende Argumentationsstrukturen und Metaphern des Kalten Krieges beleuchten.

In ihrem Doktorat, an dem Neumann-Rieser parallel zum Projekt schreibt, widmet sie sich dem Realismusbegriff bei Brecht, also ganz allgemein "den Reibungsflächen zwischen Objektivität und Subjektivität".

Derzeit stellen sie und ihr Kollege Stefan Mauser politische Primärliteratur zum Ost-West-Konflikt zusammen. Im nächsten Schritt wird diese ausgewertet. "Wir suchen, so viel wir wollen - auch in Kabarett- und Theatertexten. Aber dann wird aussortiert und ein Textkorpus für die genauere Analyse definiert", beschreibt Neumann-Rieser. Den einen bekannten Roman zum Kalten Krieg gibt es jedenfalls nicht.

"Große historische Distanz"

Zur Einstimmung studiert sie Zeitschriften: "Sie sind ein Hilfswerkzeug, um Alltagsthemen der Nachkriegszeit festzumachen", sagt sie. Die tägliche Dosis politische Propaganda lässt die Steirerin kalt: "Ich sehe mich in großer historischer Distanz zum damals Geschriebenen", meint sie.

Einige Metaphern in Bezug auf politische Überzeugungen haben sie und ihr Kollege bereits herausgearbeitet. In Zusammenhang mit Ideologien werden etwa häufig sprachliche Bilder wie "Gift", "Infektion", "Ansteckung" oder "Bakterium" verwendet.

Die 28-Jährige absolvierte die Kindergartenschule in ihrem Heimatort Judenburg, war aber in der Ausübung des Jobs nie glücklich: "Mit 20 Jahren war ich keine Autoritätsperson. Außerdem stirbt der Ort langsam aus." Als sie ihre Arbeit verlor, nutzte sie die Chance für einen Neuanfang. Als Vielleserin und Hobbyautorin entschied sie sich 2004 für das Studium der Literaturwissenschaft an der Uni Wien.

"Literatur ist mein Werkzeug, um die Welt besser verstehen und behandeln zu können", erklärt die Wissenschafterin, die seit Kindertagen an sprachlicher und bildnerischer Gestaltung interessiert ist. So tauschte sie schon früh mit einer gleichgesinnten Brieffreundin großformatige Zeichnungen, Audiokassetten und selbstgestaltete Hefte aus.

Inzwischen hat sie das eigene Schreiben aufgegeben: "Es ist gut, es einmal versucht zu haben. Das bringt einen in der Identifikation näher an die Autoren." In der Wissenschaft hat sie inzwischen eigene Spielräume gefunden, um geistig zu arbeiten. Die praxisnahe Arbeit und das FWF-Projekt bringen hoffentlich - in Anlehnung an Pierre Bourdieu - "kulturelles Kapital für die Postdoc-Zeit, wenn es nur wenige Stellen gibt". In ihrer Freizeit dominieren ebenso Geschichten - auch, wenn sie mit Freunden Fantasyrollenspiele spielt. (DER STANDARD Printausgabe 15.11.2011)