Auf einer Reise nach Ghana machten europäische Jugendliche hautnahe Begegnungen, etwa mit einem typischen Klassenzimmer ...

Foto: Standard/World Vision

... und Internatsschülerinnen.

Foto: Standard/World Vision

Wenn junge Menschen auf eine weite Reise gehen, sind es oft die subtilen und nicht die großen Veränderungen, die sich zuallererst bemerkbar machen. Martin Naderer ist 16, und als er am Flughafen Accra zum ersten Mal in einem tropischen Land landet, ist das Erste, was ihm auffällt, ein "ungewohnt nass-warmer Luftzug".

Es ist ein diffuser Mix, aus dem kein bestimmter Geruch herauszuriechen ist, und schon gar nicht lässt er die Gründe erahnen, die Naderer nach Ghana führen: Aids, Entwicklungszusammenarbeit und nationenübergreifender Austausch von Jugendlichen. Hinter der Reise steht das Projekt "Peer Up" der Nichtregierungsorganisation World Vision.

Junge Basis der Entwicklung

5000 Kilometer weiter nordöstlich startete das Projekt Anfang 2010 in Wien sowie in Frankfurt und Bukarest. Der Name "Peer Up" steht programmatisch dafür, die junge Generation nicht nur als Hilfeempfänger ins Zentrum des Engagements der NGO zu stellen, sondern auch als aktive Protagonisten. Die weltweite Entwicklungszusammenarbeit rund um Armutsbekämpfung, Gesundheitsförderung und Umweltschutz, soll auf eine Basis gestellt werden, die zwar die Politik nicht aus ihrer Verantwortung entlässt, aber die auch von den jungen Menschen selbst getragen wird. Die achttägige Reise der Gruppe mit jeweils zwei Jugendlichen aus Deutschland, Österreich und Rumänien mit "World Vision"-Mitarbeitern im Sommer stellte bisher den Höhepunkt des dreijährigen Projekts dar. Für Österreich war Naderer mit seiner Klassenkollegin Carina Holzer in Ghana, da sie sich letztes Jahr besonders für eine jugendgerechte Vermittlung des Themas Aids engagiert hatten - mit einem selbstproduzierten Musikvideo, der Organisation eines Gesprächs an ihrer Schule mit einer Aids-Erkrankten und Aufklärungsgesprächen mit Gleichaltrigen - ganz im Sinne von Peer-Education.

Gerade darüber ergab sich zwischen den Peer-Teachern aus Europa und Afrika ein reger Austausch. "Es ist oft schwierig, das Thema Sex offen anzusprechen, weil die Jugendlichen sofort lachen müssen, aber wie soll man sonst über Aids reden?", nennt eine afrikanische Schülerin ein Problem beim Namen, mit dem die Peer-Teacher dort wie da gleichermaßen konfrontiert sind.

Der nationenübergreifende Austausch offenbart aber auch Differenzen: Naderer kann kaum glauben, als ihm eine 20-jährige afrikanische Schülerin die "unschuldigsten" Fragen über Aids und Sex stellte, die es vollkommen unglaublich erscheinen lassen, dass sie vier Jahre älter ist als er.

Auch ein Blick durch die Straßen eröffnet ein Spannungsfeld zwischen Vertrautem und Fremdem. Stichwort Handys: ob Jung oder Alt, Mobiltelefone sind aus der Lebenswelt nicht mehr wegzudenken. Doch, wie die Studentin Shantel Scott erzählt, ist die Verbreitung von Handys in Ghana größer als der Zugang zu Elektrizität, und die Handys werden alle paar Tage bei Ladestationen abgegeben und mit vollem Akku wieder abgeholt.

Es sind weniger die handfesten Taten, die die Ghanareise zu einem wichtigen Beitrag der Entwicklungszusammenarbeit machen, sondern die konkreten Erfahrungen, die die europäischen Jugendlichen mit für sie sonst so abstrakten Themen machen. Armutsbekämpfung durch Mikrokredite ist eines davon. Ein Dorf, getränkt in erdig-öligem Geruch, in dem unzählige Feuerkessel köcheln und Frauen stolz Tröge voll rotem Öl auf ihren Köpfen balancieren, ist die Erfahrung, die die Jugendlichen damit machen - bei einem Besuch einer Palmölfabrik. Mithilfe von Leihgaben von wenigen hundert Euro, sogenannten Mikrokrediten, durch "World Vision" konnten sich die Frauen einer Dorfgemeinschaft eine Palmölproduktion aufbauen, die nun das Dorfeinkommen sichert.

Hühner im Klassenzimmer

Die Station, die die Jugendlichen am meisten berührt, ist Cape Coast Castle: Tausende Sklaven wurden von hier ab dem 17. Jahrhundert durch europäische Kolonialherren vor allem nach Amerika deportiert. Heute ist es eine Gedenkstätte, und abgesehen von den Kellerverließen verströmt die am Ozean gelegene Burg ein beinahe idyllisches Flair. "Es ist unglaublich, was Menschen, anderen Menschen antun können", meint eine junge Deutsche.

Nicht nur schockierende Erlebnisse überraschen die Gruppe in Zentralafrika. Es gibt auch einiges zu lachen, etwa Klassenzimmer ohne Fensterscheiben, in denen man weniger den Lehrer als die mit lautem Geschrei herumjagenden Hühner hört. Apropos Schule: Über die schimpft hier niemand - ganz im Gegensatz zu den Europäern. Doch für Schuldebatten bleibt ohnehin nicht viel Zeit angesichts wichtiger Themen wie Menschenrechte und raschestmögliche Umsetzung von Entwicklungszielen. Mit einem Rucksack "gesammelter Ideen, die vielleicht einmal etwas ändern können" sieht sich eine deutsche Jugendliche nach Hause fahren. (Tanja Traxler aus Accra, DER STANDARD, Printausgabe, 17.11.2011)