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Das Haus des mutmaßlichen Komplizen Hoger G. in Lauenau bei Hannover.

Foto: Markus Hibbeler/dapd

Hannover/Berlin – Der Streit über Konsequenzen aus den Neonazi-Morden hat die deutsche Innenpolitik fest im Griff. Nach immer neuen Berichten über Pannen bei den Ermittlungen zum rechtsextremen Terror hat die deutsche Bundesregierung einen Krisengipfel einberufen. Innen- und Justizminister aus Bund und Ländern treffen sich am Freitag in Berlin mit den Spitzen der Sicherheitsbehörden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verlangte erneut Konsequenzen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Mittwoch: "Wir haben eine Verantwortung aufzuklären und womöglich eine Verantwortung, Konsequenzen zu ziehen."

88 Personen auf Liste zu Mordplänen

Nun tauchten laut dem deutschen Nachrichtenmagazin Spiegel neue Details zu den Mordplänen der Neonazis auf. 88 Personen, die meisten davon Repräsentanten türkischer und muslimischer Organisationen, waren samt Wohnadressen in Datensätzen gespeichert, die in dem abgebrannten Haus in Zwickau gefunden wurden. Darunter befinden sich auch die Namen zweier Bundestagsabgeordneter. CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl machte sich durch seinen Kampf gegen die so genannten "Killerspiele" einen Namen, der grüne Abgeordnete und Rechtsexperte Jerzy Montag ist der Sohn eines polnisch-jüdischen Einwanderes. Die Anzahl der Personen ist wohl nicht zufällig gewählt, ist 88 doch ein neonazistischer Code, der auf den 8. Buchstaben im Alphabet – das H – und demnach auf "Heil Hitler" verweist.

Komplize G. bereits 1999 observiert

Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will gefährliche Neonazis in einem neuen Zentralregister erfassen lassen. Das Zentralregister solle ähnlich wie die Islamisten-Datei von den Verfassungsschutzämtern und den Polizeibehörden in Bund und Ländern gespeist werden. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verhält sich skeptisch. In Niedersachsen haben Innenministerium und Verfassungsschutz bei der Fahndung nach der Neonazi-Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) schwere Fehler in der Vergangenheit eingestanden. Der als mutmaßlicher Komplize des Neonazi-Trios festgenommene Holger G. sei bereits 1999 in Niedersachsen auf Bitten aus Thüringen observiert worden, sagte der niedersächsische Verfassungsschutzpräsident Hans Wargel am Mittwoch in Hannover. Am Tag des Mordes an der 22 Jahre alten deutschen Polizistin Michele Kiesewetter in Heilbronn hat die deutsche Polizei ebenfalls Holger G.s Wohnmobil mit einem Kennzeichen aus Ostdeutschland notiert, allerdings wurde nicht ermittelt, wem es gehörte.

Erkenntnisse über seine Zusammenarbeit mit der Gruppe seien in Niedersachsen aber nicht gespeichert und Holger G. nur als Mitläufer eingestuft worden. Der 37-jährige Holger G. aus dem Raum Hannover war am Sonntag als Komplize festgenommen worden. Er soll den drei mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe B. , Uwe M. und Beate Z. 2007 seinen Führerschein und vor etwa vier Monaten seinen Reisepass zur Verfügung gestellt und mehrfach Wohnmobile für die Gruppe angemietet haben.

Spekulationen um Z.s Aussage

Das Trio wird verdächtigt, neun Kleinunternehmer türkischer und griechischer Abstammung sowie eine deutsche Polizistin ermordet zu haben. B. und M. waren am 4. November nach einem Banküberfall in Eisenach (Thüringen) tot in ihrem Wohnmobil aufgefunden worden, die Ermittler gehen bisher von Selbstmord aus. Z. hatte sich einige Tage später der Polizei gestellt. Die Ermittler fanden die Tatwaffe der neonazistischen Mordserie und ein Bekennervideo der Terrorzelle NSU. Offen blieb, wann und ob Z. vor der Bundesanwaltschaft aussagt. Es ist die Rede davon, dass sie dies am Donnerstag tun will.

Staatsschützer als Neonazi-Unterstützer?

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat den Einsatz von sogenannten V-Leuten des Verfassungsschutzes in extremistischen Organisationen, nachdem bekanntwurde, dass auch Staatsschützer in die Mordserie verwickelt sein könnten, verteidigt. "Insgesamt brauchen wir solche Leute", sagte er im ZDF-"Morgenmagazin". Dies gelte für die gesamte extremistische Szene, insbesondere aber "für den islamistischen Bereich", aus dem wegen bestehender sprachlicher und kultureller Unterschiede "viel schwieriger" Informationen zu bekommen seien. Ohne V-Leute hätten die Geheimdienste in diesem Bereich "erhebliche Schwierigkeiten", sagte Herrmann.

Polizei nicht ausreichend informiert

Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, warf dem Verfassungsschutz angesichts der Neonazi-Mordserie vor, die Polizei nur ungenügend zu informieren. Die Beamten könnten nur mit den Informationen arbeiten, die sie vom Geheimdienst erhielten, sagte Wendt im Deutschlandfunk. Nach der Aufklärung des aktuellen Falles müsse man auch die Frage nach der Existenzberechtigung einer Behörde stellen, die mit "fragwürdigen Methoden fragwürdige Erkenntnisse ermittelt" und diese nicht einmal weitergebe.

Bayrische Polizei ging von rechtsextremistischen Hintergrund aus

Bei den Ermittlungen zur Mordserie an deutschlandweit neun türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern gab es bei der bayerischen Polizei schon früh einen Verdacht auf einen rechtsextremistischen Hintergrund. Beamte der Nürnberger Sonderkommission "Bosporus" hätten deshalb bereits vor Jahren alle deutschen Verfassungsschutzämter gezielt um Informationen über auffällige Personen aus dem rechtsextremen Milieu gebeten, sagte einer der leitenden Soko-Mitarbeiter, Uwe Jornitz, den ARD-Politikmagazinen "Fakt", "Report Mainz" und "Report München".

Aus Angst vor weiteren Anschlägen aus dem rechtsradikalen Milieu forderte der Zentralrat der Muslime in Deutschland Schutz vom Staat an. "Wir haben die Sicherheitsbehörden gebeten, für den Schutz muslimischer Einrichtungen und deren Repräsentanten Vorkehrungen zu treffen", sagte der Vorsitzende Aiman Mazyek den Zeitungen der WAZ-Mediengruppe. (red/APA)