Bild nicht mehr verfügbar.

Die beiden EVP-Abgeordneten Elisabeth Köstinger und Othmar Karas.

Foto: APA/EVP

Der Bericht, dass der EU-Abgeordnete Othmar Karas bereit steht, sein Amt als ÖVP-Delegationsleiter im Europäischen Parlament aufzugeben, um unter gewissen Bedingungen die Führung der Wiener ÖVP zu übernehmen, sorgt für gehörige Aufregung.

Und die Bandbreite der Reaktionen in den Leserforen reicht sehr weit: Die einen zeigen Häme, weil Karas doch ein urlangweiliger Alt-Apparatschik der Volkspartei sei. Andere drücken Bewunderung für seinen Mut aus, dass er sich das antue, wo er doch gerade erst den unter Korruptionsvorwürfen untergegangenen Ernst Strasser abgelöst habe. Andere anerkennen, dass er geradlinig sei, ein absolut glaubwürdiger Europapolitiker, der sich ebenso klar gegen die Politik der Rechtsextremen stelle und damit bei seiner Partei anecke.

Wieder andere drücken ihre Verachtung für die ÖVP aus, die nun wohl ihr letztes Aufgebot bestelle, im Gegensatz zu jenen, die in Karas endlich ein Signal zu Neuanfang und Aufbruch in Wien sehen. Und nicht wenige wundern sich, warum Karas überhaupt bereit ist, einen sicheren und in der derzeitigen Krise superinteressanten Posten in Brüssel und Straßburg gegen ein Himmelfahrtskommando in Wien einzutauschen.

Mich erstaunt daran vor allem eines: dass Karas ganz offensichtlich derart starke Emotionen auslöst. Denn der Langzeitpolitiker (erstmals Nationalratsabgeordneter im Jahr 1983!) mag vieles sein, ein großer Charismatiker ist er nicht, eher steif, ein in Details verliebter Sachpolitiker. Im Zweifel redet er lange herum, statt Botschaften knapp auf den Punkt zu bringen - keine guten Voraussetzungen in einer hektisch-knappen Medienumwelt.

Ein Teil seiner Meinungsmobilisierungsfähigkeit hängt sicher damit zusammen, dass er bei den EU-Wahlen 2009 der Niederösterreicherpartie seiner Partei die Stirn geboten hat, die ihm Ex-Innenminister Ernst Strasser vorsetzte, der dann prompt mit nationalistischen Sprüchen auffiel. Er wollte in Brüssel Österreich-Politik machen, nicht Europapolitik wie Karas. Aber das allein reicht nicht aus, um 106.000 Vorzugsstimmen zu erklären.

Es muss auch etwas damit zu tun haben, dass in der durch das Duo Faymann/Spindelegger gewendeten Retro-Politlandschaft in Österreich doch eine gewisse Sehnsucht nach einer weltoffenen, modernen Haltung (das bedeutet hin zu Europa) da ist - über die Parteigrenzen hinweg. Den früheren VP-Generalsekretär Karas treibt diese große Leidenschaft für Politik und vor allem Europa um.

Von der Anlage her ist er wohl keiner, der bei den Massen Begeisterungsstürme hervorruft. Aber Karas hat sich in den vergangenen Jahren als Europaabgeordneter stark weiterentwickelt. Am meisten profitiert er vom Umstand, dass Leute wie Lacina, Vranitzky, Mock, Busek, Voggenhuber, Fischler, Gusenbauer, Ederer, Heide Schmidt, ein Landeshauptmann Joschi Krainer in seiner steirischen Frühzeit , auch ein Helmut Zilk als Wiener Bürgermeister nicht mehr gibt, oder - was Europa betrifft - auch Schüssel oder Plassnik, die sich noch getrauten, sich der Kronenzeitung und der öffentlichen Verdummung entgegenzustellen.

Insofern ist Karas - bei aller Unterschiedlichkeit der Typen - auch seinem langjährigen Gegenüber in der SPÖ-Delegation in Straßburg, dem EU-Abgeordneten Hannes Swoboda, sehr ähnlich. Über letzteren und seine steigende Bedeutung in Europa wird in den nächsten ein, zwei Europablogs auch noch einiges zu sagen sein.

Vorerst nur soviel: Für beide, die sich im Europaparlament und bei ihren europäischen Parteifamilien großes Ansehen erarbeitet haben, zeichnet sich ein weiterer (stiller, aber steiler) Aufstieg ab. Swoboda ist inzwischen Favorit für den Posten des Chefs der Fraktionschefs von Europas Sozialdemokraten im EU-Parlament, wenn Martin Schulz im Jänner zum Parlamentspräsidenten gewählt wird. Damit wäre Swoboda neben Bundeskanzler Werner Faymann der wichtigste SPÖ-Politiker in Europa. Das Amt des Fraktionschefs im Europaparlament ist mit einem enormen informellen Wissen und Einfluss verbunden, weil in Europa ohne das Parlament inzwischen fast nichts mehr geht.

Und Karas hat das Angebot seiner Fraktion, als Vizepräsident in die künftige Führung rund um Schulz aufzusteigen, die der künftige Präsident erklärtermaßen zu einer europäischen Speerspitze (als Gegengewicht zu den mächtigen Staats- und Regierungschefs) aufbauen will. 

Ich halte Karas und Swoboda nicht zuletzt aus all diesen Gründen für die in Österreich derzeit am meisten unterschätzten Politiker. Ihre jeweils eigenen Parteien lassen sie aus unterschiedlichen Motiven jedoch links liegen.

Die Parteichefs Werner Faymann und Michael Spindelegger wären wohl froh, wenn sie von den beiden möglichst wenig bis nichts in der Öffentlichkeit hören: Der SP-Kanzler, weil er proeuropäische Haltungen wie jene Swobodas aus Angst vor den EU-skeptischen Massenblättern möglichst klein halten will, der VP-Außenminister, weil er sich vom widerspenstigen „Supereuropäer" Karas nicht die Show stehlen lassen will. Der hat es sich mit der schwarzen Niederösterreicher-Truppe gehörig verscherzt. Von der Papierform her dürfte Karas also keine Chance haben, ÖVP-Wien-Chef zu werden.

Aber warum hat er dennoch Ambitionen? Warum versucht eine einflussreiche Gruppe um die Wiener Wirtschaftschefin Brigitte Jank, mit ihm einen Neuanfang zu machen? Zwei Gründe sprechen dafür. Zum einen sind die Wiener Schwarzen untereinander total zerstritten, ein Chef von außen sozusagen könnte unbelastet starten. Zum anderen gibt es in Wien selber sichtlich niemand, der das Zeug hätte, die Wähler zurückzugewinnen. Die ÖAAB-Truppe um Spindelegger forciert den vor kurzem gewählten Stadtrat Manfred Juraczka oder Innenstaatssekretär Sebastian Kurz. Aber kurz ist noch keine Mitte-zwanzig, und Juraczka ein absoluter Nobody.

So kam man wieder auf Karas zurück, der 2009 in Wien mehr als 50.000 Vorzugstimmen einfuhr - ein Wert, von dem auch ÖVP-Chef Michael Spindelegger nur träumen kann. Der Parteichef weiß, dass es bei den Nationalratswahlen spätestens im September 2013 zuerst nicht um den Wiener Parteichef geht, sondern um seinen eigenen Kopf. Nationalratwahlen werden in der Bundeshauptstadt entschieden: Wenn es der ÖVP nicht gelingt, in Wien deutlich über die Ergebnisse bei den letzten Wahlen zu springen, dann schaute es für die Bundes-ÖVP übel aus. Spindelegger könnte rascher ÖVP-Chef gewesen sein als ihm lieb und bewusst ist.
So ist nicht ganz auszuschließen, dass der Außenminister seinen Widerstand gegen Karas (schon aus reinem Überlebenstrieb) aufgibt und ihm mit der Hoffnung auf Stimmen aus dem Lager der Europafreunde und der Jungen in Wien eine Chance gibt. Denn bei aller gespielten Harmonie: Die Regierungsparteien denken nur noch an eines - den nahenden Wahlkampf.

Eine solche Rochade wäre aber nicht möglich ohne gründlicheren Umbau: Denn Karas verlangt nicht nur Durchgriffsrechte, er will ein Regierungsamt. Da die Ministerposten alle fest (zwischen den Länderfürsten) verteilt sind, käme eigentlich nur das Amt eines Europastaatssektretärs im Außenamt in Frage.
Das hätte durchaus Charme: Der ÖVP-Chef könnte sich europapolitisch freispielen. Mit Karas hätte er dann zudem eine politische „Waffe" gegen den Kanzler in der Hand, der europapolitisch in der Regel ungern klare Position bezieht. Ein Europastaatssektretär Karas als Gegenüber, das dürfte für Faymann ein Alptraum schlechthin sein.

Eine starke Veränderung würde als Folge einer Karas-Rückkehr nach Wien auch das Erscheinungsbild der ÖVP-Europadelegation in Straßburg erfahren: Logische Nachfolgerin wäre Elisabeth Köstinger, eine junge Bauernbündlerin aus Kärnten, die schon jetzt Stellvertreterin von Karas ist und als solche im ÖVP-Bundesvorstand sitzt. Bleibt die Frage, wer das EU-Mandat von Karas übernähme: Der Parteichef hätte die Möglichkeit, die Wienerin Teresa Philippi zu holen, eine junge Liberale, die auf der Wahlliste steht.