Dionycia Valdivia, Bäuerin im tropischen Nebelwald: "Ein wenig fühle ich mich als Pionierin."

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In der Kaffeeverarbeitung verdienen Frauen in Nicaragua bis zu sechs Dollar am Tag.

 

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Managua - Dionycia Valdivia brachte 13 Kinder zur Welt. Sie bestellte die Kaffeefelder auf ihrem kleinen Grund im tropischen Nebelwald von Nicaragua und zahlte in eine Kooperative ein, die ihr die Bohnen abnahm. Stimmrechte hatte sie keine, und das Geld für die Ernte kassierte ihr Mann. Begehrte sie auf, schlug er sie. Bis sie unter Mangobäumen einen Schlussstrich zog.

Die rüstige Bäuerin versammelte sich in ihrem Schatten im Dörfchen Yasika mit anderen Frauen, viele davon alleinerziehend oder geschieden. Gegen den Willen empörter Männer gründeten sie ihre eigene Kooperative. "Mir hat es irgendwann einfach gereicht."

Valdivia folgt behände dem steilen Pfad durch die Kaffeestauden. An die 1.200 Familien leben um sie verstreut in Hütten aus Lehm und Holz. Regenfälle schneiden sie immer wieder von umliegenden Dörfern ab. Die 36 Kilometer bis zur nächsten Stadt erfordern mehrere Stunden Fahrt. "Es ist ein gutes Land", sagt sie, auch wenn sie ihre Pflanzen einst verzweifelt ausreißen wollte - um die Jahrtausendwende, als die Preise für die Bohnen einbrachen. Fünf Dollar habe sie damals für 46 Kilo bekommen.

Eine Zertifizierung auf Fairtrade, damit verbundene Mindestpreise und Prämien, halfen durch die Krise. Dann drehte der Markt. Heute ist die gleiche Erntemenge 100 Dollar wert. Sparsamer als Männer seien Frauen, sagt Valdivia, dank der Kooperative habe sie vieles über den Umgang mit Geld und Krediten gelernt. Ihre Mehreinnahmen steckte sie in die Ausbildung der Kinder. Und sie setzte die Scheidung durch, ohne wie oft üblich, alles Hab und Gut zu verlieren. Ein wenig fühle sie sich als Pionierin, sagt sie während sie ein paar Hühner leise aus der Küche scheucht. Sie ermutige andere Frauen im Dorf, sich gegen Gewalt in den Familien zu wehren. Ihre Töchter nehmen die Geburtenkontrolle selbst in die Hand - keine hat mehr als zwei Kinder. "Der Machismo wird weniger."

"Billiger als eine Kokosnuss"

Zu José Anselmo Espinoza führt eine Holperpiste tief ins Landesinnere. Er sei angesichts der Preisstürze beim Kaffee vor Schrecken fast gestorben, eine Kokosnuss sei damals mehr wert gewesen, sagt er grimmig lächelnd und hackt eine schwungvoll in zwei Teile. Heute könne ihm das nicht mehr passieren. Sein Hemd weit offen, die Kappe tief über die buschigen Augenbrauen gezogen, spricht er von 90.000 eigenen Stauden. 49 Arbeiter beschäftige er in der Erntezeit, die vier bis acht Dollar täglich verdienten. "Schulpflichtige Kinder kommen bei mir nicht aufs Feld."

Es war die Krise, die ihm die Regeln des fairen Handels schmackhaft machte. Mit den sozialen und ökologischen Auflagen lebe er gut. 20.000 Dollar bringe ihm eine Ernte ein, mit der er seine sechs Kinder durchbringe und Erntehelfer bezahle. Gut ein Zehntel stellt die Fairtrade-Prämie. "Ich kann mein Land damit besser erhalten", die Gefahr, es bei neuen Preisstürzen zu verlieren, sieht er gebannt.

Entscheidend sei das Mitspracherecht der Landwirte in den Kooperativen über die Verwendung des Mehrerlöses, erzählt Hartwig Kirner, Chef von Fairtrade Österreich. "Es geht nicht um Kontrolle bis auf den letzten Cent, wichtig ist die demokratische Basis."

Nicaraguas wichtigstes Exportgut bleibt der Kaffee. Mehr als 340 Millionen Dollar brachten die Exporte dem wirtschaftlich gebeutelten Land 2010 ein. Aber auch sie helfen nicht aus der Krise. In Lateinamerika ist nur noch Haiti ärmer, 42 Prozent der Bevölkerung leben von weniger als eineinhalb Dollar am Tag. Ein Bauer mit gut drei Hektar verdiene jährlich 4000 Euro. Halb so viel, wie er für die Familie brauche, rechnet Santiago Dolmus vom Exporteur Cecocafen im Schatten einer Palme vor. Tausend Dollar mehr ließen sich vielleicht noch mit Gemüse verdienen. Wer nicht auf Kleider, Krankenbehandlung und Hütten verzichten könne, verschulde sich.

Es fehle in Nicaragua halt an jeder Technologie, die Erträge seien gering, seufzt Wirtschaftsexperte Nestor Avendano in seinem Haus in Managua. Natürlich hätten die gestiegenen Kaffeepreise den Bauern genutzt - sie liegen derzeit auf historischem Höchststand. Bei ihnen angekommen seien aber nur rund 15 Prozent der Aufschläge. Den Rest holten sich Spekulanten und Händler. Avendano sieht die nächste Rohstoffkrise wie ein Damoklesschwert über seinem Land schweben. "Die Blase ist am Zerplatzen. Die bisherigen Gewinne werden sich in Luft auflösen."

Halbe Million Häuser fehlt

Im schmucken Städtchen Matagalpa im Herzen des Kaffeeanbaus will man davon wenig wissen. Vor acht Jahren im Zuge des Kaffeepreisverfalls habe hier täglich ein Geschäft zugesperrt, erzählt man sich. Nun gehe es bergauf. Entlang der schmalen Hauptstraße drängt sich ein Laden an den anderen. An den Bürgerkrieg, der hier bis vor 20 Jahren wütete, erinnert wenig. Iván Zelaya, Chef des Verarbeiters Solcafe und früheres Regierungsmitglied, spricht von mehr Wohlstand. Klar, seinem Land fehlten noch eine halbe Million Häuser, "es braucht Zeit, der Krieg hat uns zehn Jahre zurückgeworfen". Angesprochen auf Korruption in der Regierung winkt er ab. "Nichts davon ist bewiesen." Vor ihm wenden Dutzende Frauen Kaffeebohnen zum Trocknen in der prallen Mittagssonne. Drei Dollar am Tag hätten sie vor fünf Jahren verdient - mittlerweile sei es das Doppelte, versichert Zelaya. Fürs Leben reiche es immer noch nicht, sagt eine Arbeiterin und zieht sich ein Tuch schützend vors Gesicht. (Verena Kainrath, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 19./20.11.2011)