Friederike Fless, Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts, bei ihrem Besuch in Wien vor einer der Büsten am Gang des Österreichischen Archäologischen Instituts. Die Wissenschafter unterschrieben kürzlich einen Kooperationsvertrag.

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Peter Illetschko fragte.

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STANDARD: Die Archäologie hat seit Indiana Jones einen Hauch von Abenteuer, es geistern aber vor allem Bilder von verstaubten Bibliotheken und Wissenschaftern, die bewundernd vor einem Bruchstück einer antiken Vase stehen, durch die Köpfe. Wo liegt die Wahrheit?

Fless: Wir sitzen schon lange nicht mehr nur im Kämmerlein, um die gefundene Keramik zu bestimmen. Wir suchen Antworten auf weitaus schwierigere Fragen: Wie haben die Menschen in der Antike gelebt? Was haben sie gegessen? Hatten sie Nutztiere? Wie waren die ökonomischen, wie die klimatischen Bedingungen? Das kann man als Archäologin nicht mehr allein beantworten, man hat Grabungsteams wie wir in Pergamon oder das Österreichische Archäologische Institut in Ephesos. Da sind viele Naturwissenschafter darunter, die zum Beispiel helfen, Knochen zu bestimmen. Kurz gesagt: Es gibt aus meiner Sicht keine andere Wissenschaft, die im Alltag so interdisziplinär arbeitet.

STANDARD: Ist die Archäologie in Zeiten schrumpfender Budgets dann überhaupt noch leistbar?

Fless: Die Chancen, die sich mit neuen Hightech-Methoden bieten, muss man auch in der Archäologie nützen. Das macht das Fach natürlich teuer. In Berlin sind die Gelder aber momentan vorhanden, obwohl die Länder, die in Deutschland für die Universitäten zuständig sind, viel zusammenstreichen. Wir haben an der Freien Universität Berlin und an der Humboldt-Universität den Zuschlag für den Exzellenzcluster Topoi erhalten. Das Deutsche Archäologische Institut ist beteiligt. Das bedeutet sechs Millionen Euro jährlich, und das fünf Jahre lang. Wir haben im Deutschen Archäologischen Institut auch eine besondere Situation, weil wir eine nachgeordnete Behörde des deutschen Außenamtes sind. Dadurch haben wir derzeit einen ganz guten Rückenwind.

STANDARD: Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen?

Fless: Ich sitze relativ häufig in Ausschüssen des Bundestages. Da wird gefragt, was die Politik tun kann, um Kulturgüter in Ländern zu schützen, wo es in der jüngsten Vergangenheit Kriege und Revolutionen gab, wie etwa in Afghanistan. Es entsteht dabei eine Art kollektives Bewusstsein für die Kultur dieser Länder. Da geht es aber auch darum, wie man den Demokratisierungsprozess in Ländern wie Ägypten unterstützen könnte.

STANDARD: Was können Archäologen, obwohl ihr Fach doch eigentlich unpolitisch ist, dazu beitragen?

Fless: Das Fach ist sehr politisch. Ich nenne ein Beispiel: Das Deutsche Archäologische Institut ist in entlegenen Regionen in Ägypten ein wichtiger Arbeitgeber. Durch die Grabungen sind die Regionen aufgewertet worden, letztlich auch touristisch. Man muss es nur schaffen, die Bevölkerung einzubinden. Es geht darum, dass die Ägypter ihr eigenes Land, ihre kulturelle Identität positiv sehen. Es muss verhindert werden, dass dieses Verständnis der eigenen Geschichte, die weit zurückreicht und auch durch Monumente wie die Pyramiden das Land prägt, verschwindet. Diese Gefahr besteht in einigen Ländern - auch in Tunesien.

STANDARD: Aus Ägypten kamen nach Mubaraks Ende Meldungen über aufgebrochene Magazine und gestohlene archäologische Funde. War der Schaden groß?

Fless: Stephan Seidlmayer, Direktor unserer Abteilung in Kairo, erzählt, dass durchaus Magazine schon aufgebrochen und durchwühlt wurden. Gestohlen wurde aber relativ wenig. Die Ägypter vor Ort wollten oft einfach nur schauen, was da ist, sie riskierten einen Blick ins Verbotene, sie waren unter Mubarak nicht wirklich eingebunden. Da war ein seltsames Gebäude, da wusste niemand, was passiert, ab und zu sah man ein paar Beamte reingehen. Nun stellt sich die Frage: Was können wir tun, damit den Menschen vor Ort klar wird, dass alle diese Denkmäler zentraler Teil ihres Lebens und ihrer Identität sind? Wir gehen jetzt in Schulen in Kairo und führen Kinder zum ersten Mal in ihrem Leben zu den Pyramiden von Giseh, obwohl das ja um die Ecke ist. Das sollte zu einem positiven Selbstverständnis führen. Die Jugend hat das Regime gestürzt, jetzt stagniert das Land. Wenn man möchte, dass nicht Frustration um sich greift, muss man auch im Kleinen signalisieren, was möglich ist.

STANDARD: Gibt es auch Kriegs- und Revolutionsschauplätze der jüngsten Zeit, wo die archäologischen Funde massiv zerstört wurden?

Fless: Im Irak hat man viel zerstört. Die US-Truppen legten, als Husseins Truppen längst geschlagen waren, Panzerabwehrgräben quer durch das antike Babylon. Nach dem Krieg kam es zu großflächigen Raubgrabungen. Wissenschafter wurden erst gefragt, was zu tun sei, als es schon zu spät war.

STANDARD: Kommt der Archäologie letztlich auch eine Art Berater-, Mediator- und Vermittlerrolle zu?

Fless: Ich würde sagen, dass die Archäologie eine Wissenschaft geworden ist, bei der man sich den Beipackzettel mit den Nebenwirkungen genau durchlesen sollte. Wir müssen uns darüber klarwerden, welchen Einfluss unsere Arbeit hat: Wir verändern ja das Landschaftsbild ganzer Regionen, und zwar nicht einfach durch Löcher in der Erde, sondern durch Rekonstruktionen. Ehe das Österreichische Archäologische Institut begonnen hat, die antike Metropole Ephesos auszugraben, war dort nichts sichtbar. Wir haben in Pergamon auf Bestreben der türkischen Regierung auch einen römischen Tempel der Antike wieder teilweise aufgebaut. Er prägt nun die Landschaft. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.11.2011)