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Georg Kreisler 1922 - 2011

Foto: APA/EPA/Karmann

Das rastlose, unbeugsame Multitalent starb am Dienstag in Salzburg.

Wien – Er war Musiker, Komponist, Sänger, Autor, Poet und in jeder dieser künstlerischen Sparten von ganz außergewöhnlichem Format. Er füllte Konzert- und Hörsäle, Kabarettkeller sowieso. Er konnte am Klavier phrasieren wie nur wenige und so formulieren, dass das Ergebnis traf und saß, manchmal zum geflügelten Wort sich steigerte.

Etwa wenn er sich über die deutsche Provinz lustig machte: „Was mach' ich mit dem vielen Geld in Bielefeld, in Bielefeld?", wenn er "naja er is' a General" mit „da is' der Schaden schon total" ergänzte, wenn er sich in das Wiener Konzertpublikum hineinversetzte: "Und ich finde, mit Hindemith geht man auf jeden Fall schon viel zu weit" (ganz zu schweigen von "Banausen wie Stockhausen"), oder wenn er, weniger lustig, an der Haltung Max Frischs scharfe Kritik übte und sie „Sodom und Andorra" nannte oder, gar nicht mehr lustig, über Grundsätzliches nachdachte: "Die Wahrheit soll ein Abgrund sein. Leider springt kein Mensch hinein."

Zu allem aber, was Georg Kreisler tat, gesellte sich ein Attribut dazu, ein landläufiges zwar, das aber bei ihm und auch durch ihn besonders häufig angewendet wurde: dass er „verkannt" war. Er betonte es immer wieder, und die äußeren, äußerlichen Begleitumstände gaben ihm zumindest zum Teil Recht. Zwar glaubten viele, ihn zu kennen – man konnte ihn ja zitieren: "Gemma Tauben vergiften" usw. -, und über ihn Bescheid zu wissen. Er aber sah sich anderswo, fühlte sich missverstanden, wollte nicht auf frühe Erfolge festgenagelt werden.

Lehrjahre in den USA

Die gab es in der Tat. Georg Franz Kreisler, 1922 in Wien geboren, war eine frühe Begabung. In der Schulzeit, bevor er 1938 mit seinen jüdischen Eltern in die Emigration getrieben wurde, lernte er mehrere Instrumente und Musiktheorie. In Amerika hatte er Kontakt mit Schönberg und anderen Exil-Europäern. Als US-Soldat und junger Entertainer kam er nach Europa zurück, arbeitete als Dolmetscher für die Alliierten, ging wieder nach Hollywood, dann nach New York.

Gerade Mitte zwanzig, schlug er sich als zweisprachiger Unterhalter durch und pflegte bereits den schwarzen Humor, für den er später so bekannt – verkannt – werden sollte. (Aus dieser Zeit stammt auch das Lied, das der US-Kabarettist und Mathematik-Professor Tom Lehrer sang: „Poisoning Pigeons in the Park". Von erstaunlicher Ähnlichkeit zu sprechen ist wohl eine verschämte Untertreibung, und bis ins hohe Alter musste sich Kreisler mit der Frage herumschlagen, wer hier von wem abgeschrieben und noch dazu Note für Note gleich gesungen hat.)

Pfeffer im Wiener Kabarett

Das Makabre des Kreisler – „Everblacks" nannte er seine Lieder im Rückblick – war zusätzlicher Pfeffer in der schon scharfen Suppe, die die legendäre Kabarett-Truppe um Gerhard Bronner, Peter Wehle und Helmut Qualtinger Mitte der Fünfzigerjahre anrichtete. Seine Lieder und sein Klavierspiel hätten ihn zum Fixstern der Subkultur machen können, doch es hielt ihn nicht in Wien. Mit Topsy Küppers, seiner damaligen Frau, zog er nach München, wurde in Deutschland als Kritiker der Verhältnisse (siehe Bielefeld; oder auch Gelsenkirchen) durchaus gewürdigt. Nach vier Jahren kamen sie nach Österreich zurück, ihre "Heiße Viertelstunde" im Fernsehen wurde nicht nur bejubelt, allerdings auch nicht so missachtet, wie er es später einschätzte.

Die Theaterabende mit seiner späteren Ehefrau Barbara Peters ab Mitte der Siebzigerjahre erschlossen ihm nicht das Fanpublikum, das er früher gehabt hatte. Mittlerweile war er nach Berlin gezogen, danach Salzburg, Basel, schließlich wieder an die Salzach. Ob dies geografischer Ausdruck einer Getriebenheit war, lässt sich nicht sagen. Er selbst wies das im Gespräch von sich. Gleichzeitig betonte er, wie wichtig ihm die "eigentlichen" Dinge waren: nicht mehr die Chansons, sondern die von Skepsis getränkten Essays; nicht mehr die leichten Lacher, sondern das ernste Publikum.

Die späten Ehren

Er wollte den Erfolg und wies ihn zugleich zurück. Vor seinem 75. Geburtstag verbat er sich alle öffentliche Gratulationen vonseiten Österreichs. Seine Tochter (mit Küppers) Sandra, die die musische Begabung der beiden geerbt hat, stellte fest, dass der Staat Kreisler nicht einmal ehrenhalber die Staatsbürgerschaft zurückgegeben hatte. Ehrungen gab es dann spät, aber dafür gehäuft – in Deutschland, bis zum Hölderlin-Preis der Stadt Homburg letztes Jahr.

Am gestrigen Dienstag starb Georg Kreisler im 90. Lebensjahr in Salzburg an den Folgen einer Infektion. (Michael Freund, DER STANDARD – Printausgabe, 23. November 2011)