Friedrich Cerha eröffnete und beendete Wien Modern.

Foto: Standard/Heribert Corn

Wien - Wir wissen es alle, dass sich in unserer markt- und mediengeprägten Welt nicht ohne weiteres von Äußerlichkeiten auf den Gehalt von Dingen schließen lässt. In manchen Fällen hat aber die Verpackung doch ganz deutlich etwas mit ihren Inhalten zu tun. Im letzten Jahr, als der neue künstlerische Leiter Matthias Losek sein Amt antrat, hatte Wien Modern noch provokant mit der goldenen Stadtpark-Statue von Johann Strauss geworben (ohne dass jemand so recht erklären konnte, warum).

Wenn es heuer sein rotes Logo schlicht auf monochromem knallgelbem Grund platzierte, verwies dies etwa nicht auf eine geschmackliche Läuterung, sondern viel eher auf eine Ideenarmut, die sich auch im Programm des Neue-Musik-Festivals auf schmerzliche Weise zeigte. Das heißt nicht, dass es dabei keine qualitätsvollen Komponenten gegeben hätte. Im Gegenteil: Dem Doyen der zeitgenössischen österreichischen Musik, Friedrich Cerha, seine Reverenz zu erweisen, war natürlich nicht ganz unangebracht.

Nur: Dessen 85. Geburtstag feierte die Musikwelt im Grunde schon das ganze Jahr, er ist inzwischen glücklicherweise rundweg anerkannt, überall geschätzt und im Konzertleben präsent, in den vergangenen Jahren auch mit einer dichten Folge von Uraufführungen. Seinen großen Spiegel -Zyklus hört man selten; dieses bahnbrechende Werk war aber bereits 2006 von Wien Modern ins Licht gerückt worden - und das zweifellos in einer adäquateren Interpretation als heuer.

Es nun im Eröffnungskonzert zu spielen, war somit ein zweischneidiges Signal, auch deshalb, weil das inzwischen ein halbes Jahrhundert alte Stück eine sichere Bank darstellt. Zwar soll und darf ein Festival zeitgenössischer Musik auch einmal etwas weiter ausholen (die Retrospektiven von Loseks Vorgänger Berno Odo Polzer taten das auf verdienstvolle Weise, weil sie sonst kaum Präsentes wieder hörbar machten), doch sollte und müsste es schon auch ein wenig mehr Mut zum Risiko beweisen.

Allerdings war auch der zweite österreichische Komponist, dem ein Schwerpunkt galt, genauso wenig eine Entdeckung wie ein echter Überraschungskandidat: Wolfgang Mitterer war nämlich bereits 1999 ein Projekt gewidmet, 2005 hatte er den im Rahmen von Wien Modern uraufgeführten Kompositionsauftrag der Erste Bank erhalten.

Als Improvisator, Performer und Komponist gilt Mitterer schon seit seiner Musik zu Murnaus Nosferatu-Film (UA: 2001 bei Wien Modern) als Publikumsmagnet. Und er wird auch sein Schärflein dazu beigetragen haben, dass die Auslastung in diesem Jahr mit 79 % in etwa an jene der Vorjahre anknüpfen konnte.

Und das bei einem deutlichen Zuwachs an Generalpässen (rund 600; 2010: rund 500) wie Besucherzahlen (ca. 19.000; 2010: ca. 13.000). Allerdings wären dabei auch jene Veranstaltungen zu berücksichtigen, die mehrfach geboten wurden (bis zu zehn Termine), und die Vermittlungs- und Jugendarbeit mit Workshops, Publikumsgesprächen und Diskussionen wäre für sich zu würdigen.

Für die künstlerische Bilanz gelten ohnehin andere Maßstäbe als jene, die sich in Zahlen ausdrücken lassen. Und dafür wäre noch ein dritter Schwerpunkt zu beleuchten, der neue Musik aus Großbritannien präsentieren wollte. Nur schade, dass die im Vorfeld energisch gepushte Emily Howard auf so schlichte, eindimensionale Gehörfälligkeit setzte.

Wien Modern ist womöglich quantitativ noch immer ein "Zentrum der Musik der Gegenwart", wie es im Programmbuch heißt. Um das künftig auch qualitativ zu sein, wäre jedoch die eine oder andere Perspektive wünschenswert. (Daniel Ender, DER STANDARD - Printausgabe, 29. November 2011)