Experte Marin plädiert für empfindliche Abschläge für Frühpensionen - doch auch Firmen sollen zahlen.

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Wien - Höhere Abschläge für Frühpensionisten lautet ein bevorzugter Reformschlager der ÖVP: Wer vorzeitig in den Ruhestand tritt, soll sich den Spaß quasi selbst zahlen, statt die Kosten auf den Staat abzuwälzen.

An sich gibt es das Prinzip bereits. Frühpensionen sehen mit Ausnahme der Hacklerregelung (bis einschließlich 2013) für jedes Jahr vor dem gesetzlichen Antrittsalter (Männer 65, Frauen 60) einen Abschlag von 4,2 Prozent vor. Ob dieses Minus versicherungsmathematisch ausreicht, um die Kosten der früheren Pensionsauszahlung aufzuwiegen, ist unter Experten umstritten.

Allerdings sind die Abschläge für viele (künftige) Pensionisten durch einen "Deckel" begrenzt, um die Einschnitte der Pensionsreform 2004 zu dämpfen. Dieser gilt für Menschen, die vor 1955 geboren sind, sowie für jüngere Semester, die bereits vor 2005 versichert waren. Ihre Pensionshöhe wird zur Gänze bzw. zum Teil per Vergleichsrechnung ermittelt: Der Anspruch aus Alt- und Neurecht wird verglichen, der Verlust mit dem Deckel begrenzt. Derzeit liegt dieser bei 6,75 Prozent und steigt bis 2024 auf zehn Prozent. Der ÖVP geht das zu langsam - weshalb sie den Deckel anheben will.

"Mehr Verunsicherung"

Pensionsexperte Bernd Marin sieht das ähnlich. Eine Verlustdeckelung sei mit dem 2005 eingeführten Pensionskonto-System grundsätzlich unvereinbar. Sofern man dennoch weiterhin "deckeln" wolle, sollte der Übergang von altem zu neuem Recht weniger als zwei Jahrzehnte dauern. Schließlich hätten die Betroffenen genug Zeit, ihr Verhalten umzustellen und später in den Ruhestand zu gehen, sagt Marin. Gleichzeitig brauche es aber verbesserten Schutz gegen altersbedingte Kündigungen.

Angesichts des jetzt schon überkomplizierten Systems warnt Christine Mayrhuber vom Wirtschaftsforschungsinstitut davor, von neuem am Deckel herumzudoktern, weil das nur zu noch mehr "Verunsicherung" führe. Sie empfiehlt, reinen Tisch zu machen: Alte Ansprüche sollten ins neue Pensionskonto übertragen werden - danach würden für alle die gleichen Regeln gelten.

Marin fordert realistische Abschläge bei allen Pensionsarten - doch die dürften nicht nur den Pensionisten aufgebürdet werden. Viele Unternehmen würden ältere Arbeitnehmer auf Kosten der Allgemeinheit im Ruhestand "entsorgen", sagt der Experte und plädiert für ein sogenanntes "experience rating": Arbeitgeber müssen für den verursachten Schaden selbst aufkommen, indem sie etwa die Kosten für Invaliditätspensionisten übernehmen, wenn sie vorher keine Gegenmaßnahmen getroffen haben. Die Niederlande hätten die Zahl der Invaliditätspensionen so um zwei Drittel von jährlich 100.000 auf 34.000 gesenkt, sagt Marin: "Die einzige Sprache, die Unternehmen verstehen, ist das Klingeln in der Kasse." (jo, DER STANDARD, Printausgabe, 29.11.2011)