Gerhard Haderer zeichnet Jesus, aber nicht Mohammed. Denn: "Ich kann mich nur zu Themen äußern, die ich auch verstanden habe. Den Katholizismus kenne ich mittlerweile seit 60 Jahren."

Foto: Heribert CORN

Standard: 1984 soll ein Schicksalsjahr für Sie gewesen sein. Stimmt es, dass Sie damals alle Ihre Zeichnungen vernichtet haben?

Haderer: Das stimmt. Zehn Jahre lang hatte ich mein Talent ausgebeutet - als selbstständiger Werbegrafiker und Illustrator. 1984, ich war damals 33, stellte ich mir die Frage: "Wofür tust du das denn? Hat das irgendetwas zu tun mit dir selber?" Anders gesagt: Ich war völlig unglücklich. In einer Konsequenz, die ich mir heute noch hoch anrechne, beschloss ich, die Branche zu verlassen, und vernichtete meine Arbeiten. Es gab keine Originale mehr, ich war frei und wild entschlossen, nur mehr das zu tun, wozu ich stehen kann. Und so entstanden ohne Auftrag erste satirische Zeichnungen. Ich dachte mir, die würde ich gern in Zeitungen sehen.

Standard: Wie gelang es Ihnen 1985, aus dem Nichts heraus für das "Profil" zu zeichnen?

Haderer: In Salzburg gab es den Versuch einer satirischen Zeitung, die Watzmann hieß. Auf einem Cover porträtierte ich den damaligen Unterrichtsminister Helmut Zilk als Hutschenschleuderer. Und daraufhin begann diese Tellerwäschergeschichte. Plötzlich läutete das Telefon. Peter Michael Lingens vom Profil fragte mich: "Warum kenne ich Sie nicht?" Und dann zeichnete ich Woche für Woche fürs Profil. Ohne Warm-up. Aber handwerklich hatte ich genügend Training. Und ich war aggressiv: Ich brauchte nur die ach so positiven Werbefiguren ein klein wenig hochdrehen, und schon waren die schärfsten, bösesten Cartoons fertig.

Standard: Sie zeichnen auch viele Politiker. Wen haben Sie am liebsten porträtiert?

Haderer: George W. Bush, weil er so ein schlichter Charakter ist. Der hat sich selbst gezeichnet. Ansonsten habe ich am liebsten Figuren, die sich nicht gut zeichnen lassen, also die schönen Menschen. Franz Vranitzky zum Beispiel: Der hatte ein tolles männliches Gesicht. Das hat mich gereizt. Aber er hat sich im Amt verändert - das sieht man meinen Zeichnungen auch an. Ähnlich Jörg Haider: Er hat sich vom sauberen, sportlichen Bubi zu einer verbissenen Fratze entwickelt. Da fand eine Metamorphose statt.

Standard: Wie begegnen Ihnen generell die Politiker?

Haderer: Entweder wird man von ihnen bekämpft - im Sinne von: geklagt. Und die anderen, die Klügeren, laden einen zum Essen ein. Aber ich bin diesen Damen und Herren nie in die Nähe geraten. Das hat mir Respekt verschafft.

Standard: Exkanzler Wolfgang Schüssel bezeichnete Ihre Arbeiten als "Schundzeichnungen".

Haderer: Das war harmlos. Viel gefährlicher war, dass er gesagt hat: "Immer wenn es darauf ankommt, kann sich die Kirche auf die ÖVP verlassen." Denn damals waren Justiz- und Innenministerium in der Hand seiner Partei. Nach Ende seiner Karriere als Bundeskanzler nahm Schüssel zu mir Kontakt auf. Er sagte zu meiner völligen Verblüffung, wie sehr er meine Arbeit schätze. Wir setzten uns daher einmal zusammen. Aber wir wurden keine Freunde. Ich bestand darauf, mir zu erklären, ob er begriffen hat, was seine Aussage für mich und meine Familie bedeutet hatte. Denn erst danach ging es ja richtig los mit den Bedrohungen. Es kam aber keine Antwort.

Standard: Es geht um Ihr Buch "Das Leben des Jesus", das 2002 für heiße Diskussionen sorgte, weil Sie Jesus u. a. einen Joint rauchen ließen. Gab es bestimmte Anlässe, warum Sie sich mit dem Katholizismus auseinandergesetzt haben?

Haderer: Nein, das war für mich eine völlige Selbstverständlichkeit. Als katholisch sozialisierter Österreicher, der sich immer mit seiner unmittelbaren Umgebung beschäftigt hat, musste ich mich zur Kirche äußern, weil sie hierzulande immer noch ein Machtfaktor ist: zuerst in einigen Zeichnungen - und dann eben im Buch. Ich bin zwar Agnostiker, aber der Typ ist beeindruckend, ich mag den Jesus, diesen sympathischen Burschen. Was ich nicht mag, ist dieser seltsame Verein, der sich auf ihn beruft und katholische Kirche nennt.

Standard: Was darf sich ein Karikaturist erlauben? Im Zusammenhang mit der Frage, ob man Witze über Mohammed machen dürfe, sagten Sie, dass es Grenzen gebe.

Haderer: Das wurde breit gespielt, stimmt aber so nicht. Prinzipiell gibt es keine Grenzen. Es gibt nur meine persönlichen Grenzen. Ich formulierte flapsig: "Ich würde Mohammed schon deswegen nicht zeichnen, weil ich nicht weiß, wie er ausschaut. Es gibt zu wenige Bilder von ihm. " Das heißt nicht, dass ich zu feige bin, aber ich kann mich nur zu Themen äußern, die ich auch verstanden habe. Den Katholizismus kenne ich mittlerweile seit 60 Jahren. Um mich zu den anderen Religionen äußern zu können, müsste ich mir erst viel Wissen aneignen.

Standard: Sie beschäftigen sich gern mit Stammtischthemen: Lady Diana, Hunde, Fußball. Das Feld, das Sie beackern, ist die österreichische Seele.

Haderer: Mein Feld ist meine Seele. Das ist noch viel mickriger. Aber es stimmt: Die Aufreger der Nation beschäftigen mich. Das weltweite übertriebene Trauern über Lady Diana zum Beispiel konnten Robert Menasse und ich nicht unwidersprochen lassen.

Standard: Aber auch Jörg Haider haben Sie ein Buch gewidmet.

Haderer: Er ist strahlend mit Jörgi, der Drachentöter herumgelaufen. Das war natürlich eine sehr infame, aber zielführende Strategie. Chapeau! Da dachte ich mir: Wenn sich eine Politikerfigur mit den kritischen Äußerungen über sie schmückt, dann gibt es eben keine Zeichnungen mehr über sie. Und ich habe ihn auch nicht mehr gezeichnet.

Standard: Sie zeichnen nicht mehr für das "Profil". Planen Sie zumindest weitere Bücher?

Haderer: Nein, ich habe einige Etüden hinter mir, das reicht. Im Verlag der Komischen Künste ist ein Sammelband mit dem Titel Haderers Österreich erschienen - und ab 2. Dezember gibt es eine gleichnamige Ausstellung im Museumsquartier. Damit ist es genug. Ich habe mir jetzt eine andere Leidenschaft erschlossen: Ich habe zu malen begonnen. Es muss das große Format her! Zwei auf zweieinhalb Meter in Öl, keine Kompromisse. (Thomas Trenkler, DER STANDARD/Printausgabe 30. November)