Fünf erschöpfte Polarforscher, fünf enttäuschte Gesichter: Robert Falcon Scotts Team belegte doch nur den zweiten Platz im Wettrennen.

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Im Zeitalter von Google Earth kann man sich gar nicht mehr so leicht vorstellen, dass es auf der Landkarte der Erde bis vor noch gar nicht allzu langer Zeit eine Menge "weißer Flecken" gab. Im Inneren von Afrika und Zentralasien und am Rand der Welt lagen die Herausforderungen für die Kartografen, Geometer, Erstbegeher, die entweder vom Nilfieber (Georg Brunold) befallen waren oder unbedingt Die Schrecken des Eises und der Finsternis (Christoph Ransmayr) bestehen wollten. Die Antarktis stellte für die Entdecker eine besondere Herausforderung dar, weil ihre Eismassen einen eigenen Kontinent bilden, der nur vom Meer her erreichbar ist - während der Nordpol, der ja auch nicht auf dem "Festland" liegt, deutlich besser angebunden ist. Die Antarktis ist insgesamt ein weißer Fleck auf dem "blauen Planeten", und die Metapher vom "Ende der Welt" ist kürzlich wieder in einem prominenten Zusammenhang benützt worden, als der Filmemacher Werner Herzog seinen großartigen Dokumentarfilm zum Thema so benannte: Encounters at the End of the World.

Der von Herzog gelegentlich als Kronzeuge genannte antike Welterforscher Herodot weist denn auch die Spur zu den Dramen, die mit der Erforschung der Polarzonen verbunden sind - und die etwas Wesentliches über die Gattung Mensch selbst verraten, die als Einzige einen Drang zu kennen scheint, sich in Bereiche vorzuwagen, für die sie biologisch ganz und gar nicht perfekt ausgestattet ist. Für Herodot endete die Welt noch in Libyen, worunter er den (nördlichen) Teil von Afrika verstand, von dem es damals schon einen ungefähren Begriff gab. Dass es weiter südlich noch mehr Land geben musste, das hatte vor der Entdeckung der Kugelgestalt der Erde vor allem prinzipielle Gründe: Antike Geografen konnten sich das Meer nur wie einen Binnensee vorstellen, also umgeben von Landmassen, deswegen gingen sie davon aus, dass jenseits der offenen Meere, die zunehmend die Aufmerksamkeit auf sich zogen, wieder ein Ufer sein musste. Konkret entdeckt wurde die lange Zeit als "Terra australis" postulierte Südpolarregion erst im frühen 19. Jahrhundert, und spätestens dann war klar, dass von einem lieblichen Klima, wie man das lange fälschlich vermutet hatte, dort keine Rede sein konnte.

Den Blick verstellt

Das ewige Eis bildete eine Festung gegen jeden Versuch, es zu betreten - von James Cook etwa wird berichtet, dass er nahe dran war, die Antarktis zu Gesicht zu bekommen; was ihm allerdings den Blick verstellte (und den Weg versperrte), waren dem Kontinent vorgelagerte Packeismassen. Wer als erster Mensch tatsächlich die Landmasse selbst betreten hat, ist kaum gesichert zu eruieren, ist aber auch nicht von großem Belang. Interessant ist die Mischung der Motive, die schließlich um die Wende zum 20. Jahrhundert zu einer deutlichen Intensivierung der Bemühungen führten, nicht nur die Antarktis zu erforschen, sondern auch den Pol zu erreichen. Nicht von ungefähr ist die Periode in der Geschichte durch das Schlagwort vom Imperialismus gekennzeichnet - die europäischen Mächte versuchten, sich durch Einflusszonen und Kolonien in Übersee Vorteile im Ringen um Vorherrschaft zu sichern.

Die Heldengeschichten, die (nicht nur) in Jugendbüchern wie dem seinerzeit von Hans Hass und Heinrich Harrer mitherausgegebenen Band Die großen Entdecker erzählt werden, hatten also handfeste politische Kontexte. Und doch bleibt die Faszination ungebrochen für das Drama der Einschreibung der individuellen Namen in diese Geschichte. Denn darum ging es bei diesen Expeditionen auch: den Nord- oder den Südpol mit dem eigenen Namen in Verbindung zu bringen, und dies für die jeweilige Fahne oder Krone, für die man unterwegs war.

Unmittelbare Dramatik

Dass die Eroberung des Nordpols bei weitem nicht dieselbe Popularität bei den Nacherzählungen genießt, hat mit zwei Umständen zu tun. Die Ansprüche des Amerikaners Peary, der 1909 den Nordpol erreicht haben soll, sind nicht hundertprozentig zu erhärten - hier haben wir es mit einer "offiziösen" Version zu tun, der aber vor allem das Element unmittelbarer Dramatik fehlt, wie sie der Wettlauf zum Südpol hat.

Hier waren 1911 zwei Gruppen unterwegs: eine norwegische Expedition unter Roald Amundsen, und eine britische unter Robert Falcon Scott. Letztlich war das Rennen gar nicht so knapp, denn die Engländer hatten um ein ganzes Monat das Nachsehen. Als sie den Südpol erreichten, war Haakon VII. von Norwegen dort schon Herr im kalten Haus. Eine Fotografie der fünf Expeditionsteilnehmer vor der britischen Flagge am Südpol zählt zu den herausragenden Dokumenten der Polarforschung, denn in den Gesichtern der entkräfteten, enttäuschten Männer ist zu lesen, welchen Unterschied gerade in diesen extremen Zonen das Moment der Motivation machen kann.

Scotts Expedition hatte nicht nur das Nachsehen, sondern auch das schlechtere Wetter, und so verbindet sich mit diesem Unternehmen eine der großen Tragödien der Ära der geografischen Entdeckungen: Die fünf Männer starben auf dem Rückweg, und noch in der Agonie des aussichtslosen Überlebenskampfs berief Scott sich auf die Tugenden eines "englischen Gentlemans", dessen Haltungsideal er auch mit schweren Erfrierungen noch zu beherzigen versuchte.

Mit dem Südpol verbindet sich somit eine jener Geschichten, in denen der unterlegene Zweite die größeren Sympathien gewinnt. Für den englischen Imperialismus musste die Niederlage zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs als Menetekel gelten, im Gegenteil entstand, um Scott ein regelrechter Heldenkult.

Aber auch Amundsen wurde letztlich zu einem Opfer des Eises. Er starb 1928 bei dem Versuch, den italienischen Forscher Nobile zu retten, der mit einem Luftschiff abgestürzt war. Das Wrack des Flugzeugs, mit dem Amundsen verloren ging, ist bis heute nicht gefunden worden - und inzwischen Expeditionsziel. Es gibt also noch genug weiße Flecken im ewigen Eis. (DER STANDARD, Printausgabe, 07.12.2011)