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Dieser Look fällt im Businessleben absolut in keine "Grauzone"

Foto: APA/Fredrik von Erichsen

Als Kind war es immer ein Highlight, mit meiner Oma in die Bank zu gehen. Tage zuvor wurde sie nicht müde, immer noch mehr Münzen in meine Spardose zu schieben - das Erfolgserlebnis in der Bank sollte genauso groß sein wie die neu eingegangene Summe am Sparbuch. Das aber war es nicht, worauf ich mich freute. Ich freute mich auf Omas Bankbetreuerin - die "Goldmarie", so nannte sie Oma despektierlich. Für mich aber war sie eine Erscheinung wie aus dem Märchenbuch. Immer freundlich, blondiertes langes Haar, Jackets mit Glitzersteinen drauf - und gut jenseits der 50.

Nie zuvor und auch nie mehr danach ist mir eine Frau begegnet, die mit solcher Leidenschaft und offensichtlicher Freude eine wirklich beachtliche Menge an Goldschmuck trug. Sie überstrahlte alle - Kollegen wie Kunden -, von der einen Seite des Bankfoyers bis hin zur anderen. Niemand, auch nicht ihr Chef, hätte gewagt, ihr Kleidervorschriften zu machen. Sie war einfach eine Erscheinung. Echt.

Schade eigentlich, dass man diese Typen in Banken und anderen Bereichen des öffentlichen Lebens nicht mehr antrifft. Wer weiß, ob Goldmarie - mit ihrer zur Schau gestellten Individualität in Sachen Styling und Stil - heute überhaupt einen Job am Kassenschalter einer Bank bekommen würde. Sehr vieles, eigentlich fast alles, ist dieser Tage uniform. Mittlerweile gehen die Diskussion um Business-Dresscodes und der Eingriff von Firmenvorständen in den Kleiderkasten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - etwa in Banken - schon so weit, dass sich Arbeitsrechtler einschalten. So geschah es etwa auch in der Diskussion um den Dresscode bei der Schweizer Bank UBS im vergangenen Jahr.

Die 44 Seiten umfassende Kleidungsvorschrift - anders kann man das Konvolut nicht nennen - stieß auf weltweite Resonanz. Und das nicht zu Unrecht. So begann die Agentur Reuters ihre Meldung zum Thema mit "Die UBS versucht ihr angeschlagenes Image mit einem neuen Dresscode zu polieren". Mittlerweile sollten an die 1500 UBS-Mitarbeiter an 300 Standorten davon betroffen sein.

"Innere Ruhe vermitteln"

Zunächst eine "atmosphärische" Einstimmung auf das, worauf die minutiös erarbeitete Dresscode-Dokumentation bei UBS abzielt: "Eine tadellose Erscheinung vermag es, innere Ruhe und ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln", heißt es dort. Nicht nur deshalb seien diese Direktiven, die sich an alle Mitarbeiter richten, verpflichtend einzuhalten, so ein weiterer Ausschnitt.

Vertrauenerweckende Farben sind bei UBS Anthrazit, Schwarz oder Dunkelblau. Anzüge wie Kostüme (bei Frauen) sollen gut sitzen, einfach geschnitten sein und hohen Tragekomfort haben, heißt es ganz allgemein. Die Röcke sollen beim Gehen nicht hochrutschen. Die Rocklänge ist von der Mitte des Knies bis zu fünf Zentimeter darunter - vorgeschrieben. Nur keine Schlüssel oder sonstigen Gegenstände in die Blazertaschen stecken - letztere könnten sich auf "unästhetische Weise verformen". Nachsatz in der Kategorie "Tricks und Ratschläge": "Die Jacke ist immer zugeknöpft zu tragen. Im Sitzen darf sie immer offen bleiben." Besten Dank auch.

Die allgemeinen Ratschläge weichen nicht übermäßig von dem ab, was andernorts ebenso in Sachen Dresscode verlangt wird. Allerdings ist der Dresscode häufig mit mehr als fragwürdigen Nachsätzen gespickt. Zum Beispiel: "Blusen dürfen den Brustkorb nicht einschnüren, auch nicht (zu offen) getragen werden, um eine Negligee-artige Erscheinung zu vermeiden." Oder: "Wir empfehlen Ihnen - wenn möglich -, den Hals nicht zu schminken. Make-up-Spuren am Kragen wirken unvorteilhaft."

Möchte man sich schon darüber wundern - richtig knifflig wird's bei UBS im Detail. Vom Haarschnitt ("Überlegen Sie sich, ob der Haarschnitt und die Haarfarbe Ihrem Alter und Ihrer Gesamterscheinung entsprechen") bis hin zur Farbe der Unterwäsche ("nicht zerknittert" und "hautfarben") wird den weiblichen Angestellten der UBS Stilberatung nähergebracht. Die Anleitung, wie der obligate Schal bzw. das Halstuch zu binden sind, kommt der Knotenkunde beim Profisegeln gleich. Schuhe sind schwarz, vorne nie offen ("Das Tragen offener Schuhe ist verboten"), die Höhe der Absätze darf sieben Zentimeter nicht überschreiten - und: Sauber poliert müssen sie sein.

Wie weit darf man gehen?

Bei der nun folgenden Empfehlung - wir sind noch immer bei UBS - wäre es Goldmarie eindeutig zu viel geworden: eine Begrenzung der Anzahl an Schmuckstücken auf sieben (inklusive optischer Brille) - nicht nur aus Sicherheitsgründen, wie es heißt. Obgleich es noch zahlreiche Details aufzuzählen gäbe, soll mit einer kurzen Auflistung an Schmuckstücken ("Es gibt keine Verpflichtung, überhaupt Schmuck zu tragen") die Dresscodekritik an dieser Stelle enden: "Ehering, diskrete Uhr, optische Brille, Ohrringe, Ring, Kette oder Armband - als sinngemäß Eyecatcher". Im Übrigen widmet UBS seinen männlichen Mitarbeitern fast ebenso viel Platz wie seinen weiblichen Mitarbeitern. Die grundsätzliche Frage, die sich jeder angesichts einer so akkurat ausgefeilten Kleidungs-, Parfümier- oder Schminkvorschrift stellen sollte, ist: Welches Menschenbild vertritt ein Arbeitgeber mit solchen Vorgaben? Und: Wie weit darf ein Arbeitgeber überhaupt in den Kleiderschrank seiner Mitarbeiter in Sachen "Arbeitskleidung" eingreifen?

Weisungsrecht

Einerseits, so bestätigen Arbeitsrechtler, habe der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin das Recht, sich seinem oder ihrem persönlichen Stil nach zu kleiden. Der Arbeitgeber wiederum habe das sogenannte Weisungsrecht, demzufolge er die Leistungspflicht hinsichtlich Inhalt, Ort und Zeit der Arbeit bestimmen könne. Darunter falle aber auch das Recht, über das Erscheinungsbild des Arbeitnehmers beziehungsweise der Arbeitnehmerin zu bestimmen.

Die falsche Farb- oder Formwahl der Unterhose falle nur dann ins Weisungsrecht, wenn diese (und hier scheinen der Fantasie keine Grenzen gesetzt) zum Beispiel Kollegen, das Arbeitsergebnis oder Außenstehende gefährden. Allerdings, so Arbeitsrechtler weiter, dürfe der Arbeitgeber überall dort Einfluss auf den Kleidungsstil bzw. das Erscheinungsbild des Arbeitnehmers nehmen, wo er es berechtigterweise wünscht - zum Beispiel beim Kundenkontakt.

Dort, wo die Grenzen zwischen Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer und Weisungsrecht der Arbeitgeber zu verschwimmen scheinen, lohnt es sich wohl, sich auf den mehr oder weniger verbreiteten Hausverstand zu verlassen. Einleuchtend kann hier sein, dass ein mehr oder weniger solider Kleidungsstil - zum Beispiel Anzug oder Kostüm in einer Bank bei Kundenkontakt - und zum Beispiel der Verzicht auf Piercings im Arbeitsalltag von Vorteil sein kann. Dass bestimmte Werte und Haltungen durch solide Kleidung oder gepflegtes Äußeres vermittelt werden können und damit auch das Vertrauen beim Kunden erweckt werden kann, ist irgendwo auch klar. Die Extreme - den im Pyjama und ungewaschen vor dem Computer sitzenden "Technik-Nerd" oder die barfuß Kunden beratende Bankangestellte -, die gibt es aber in der Realität ohnehin nicht wirklich.

In diesem Sinne wäre es gut, den Angestellten, jenen einer Bank etwa, die jahrelange fachliche Ausbildungen genossen haben, mehr zuzutrauen in dem, was kleidungstechnisch oder in Sachen Stil - und im Kundenkontakt - angemessen ist. (Heidi Aichinger, DER STANDARD Portfolio, Printausgabe, 7./8.12.2011)