Mit einem Meter Körperlänge war der Anomalocaris der Top-Räuber der kambrischen Meere.

Foto: Katrina Kenny & University of Adelaide

Eines der Anomalocaris-Stielaugen, die in Südaustralien gefunden wurden - rechts zu sehen die gut erhaltenen Linsen.

Foto: John Paterson

London/Berlin - Als Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Fossilien des Anomalocaris gefunden wurden, ordneten Paläontologen sie spektakulär falsch zu: Der Körperbau des Tiers wich so stark von allen bis dahin bekannten Arten ab, dass die einzelnen Bestandteile für jeweils eigene Spezies gehalten wurden: Das Maul für eine Qualle, die beiden Greifer am Maul für Gliederfüßer, der Körper selbst für einen Schwamm. Erst 1985 wurde erkannt, dass die vermeintlich unterschiedlichen Spezies das eigentliche Tier ergeben. Und zwar eines, das mit einer Körperlänge von über einem Meter ein Riese seiner Zeit war - Anomalocaris stand in den Meeren des Kambriums vor über 500 Millionen Jahren am Ende der Nahrungskette.

Die Zuordnung zu einem Tierstamm blieb bis heute ungeklärt - der Name Anomalocaris ("ungewöhnliche Garnele") spiegelt dies wider. Der Riese und seine Verwandten wurden den Urmündern zugeschrieben, einer äußerst umfangreichen Gruppe, zu der unter anderem sämtliche Gliederfüßer, Weichtiere, Ringelwürmer und Plattwürmer zählen. Ein aktueller Fossilienfund unterstreicht die Vermutung, dass Anomalocaris den Gliederfüßern am nächsten stand - er hatte nämlich hochkomplexe Facettenaugen wie Insekten oder Krebse.

Messerscharfe Augen

In der Fachzeitschrift "Nature" berichten Forscher um John Paterson von einem "rekordverdächtigen" Fund im Emu-Bay-Schiefer, einer Fossilienlagerstätte in Südaustralien - den versteinerten Augen eines Anomalocaris. Die zwei bis drei Zentimeter großen Sehorgane bestehen aus mehr als 16.000 sechseckigen Linsen - damit gehören sie zu den größten und schärfsten Facettenaugen, die es je gegeben hat.

Das unterstützt nicht nur die These, dass Anomalocaris der Entwicklungslinie der Gliederfüßer nahestand, sondern unterstreicht auch seinen Rang als furchterregender Jäger zu einer Zeit, als das evolutionäre "Wettrüsten" zwischen Jägern und Beutetieren Fahrt aufnahm. Anomalocaris war offenbar ein visuell gesteuertes, hochmobiles Tier: Mit wellenförmigen Bewegungen der Lappen an den Seiten seines Körpers schwamm er durch die kambrischen Meere. Hatte er ein Beutetier - etwa einen Trilobiten - mit seinem offenbar messerscharfen Sehvermögen ausgemacht, wurde dieses von den Greifern gepackt und zum scheibenförmigen, hornplattenbewehrten Maul befördert.

Als vielleicht größtes Tier seiner Zeit fand der Anomalocaris weltweite Verbreitung und hielt sich etwa 30 Millionen Jahre. Vor 500 Millionen Jahren verschwand die Spezies, es wurden jedoch Fossilien von nahen Verwandten gefunden, die bis zu 100 Millionen Jahre später lebten. (red)