Kurt Wratzfeld: "360 Euro mögen auf den ersten Blick wenig erscheinen."

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STANDARD: Glauben Sie, dass die Strafdrohung etwas verändert?

Wratzfeld: Aus heutiger Sicht ist das noch schwer zu beurteilen. 360 Euro mögen auf den ersten Blick wenig erscheinen. Allerdings gilt im Verwaltungsstrafrecht das Kumulationsprinzip. Das heißt konkret: Für jeden einzelnen Verstoß muss etwa der Geschäftsführer eines Betriebes - und sind es mehrere, jeder einzelne von ihnen - Bußgeld bezahlen. In Summe kann sich da schon ein empfindlicher Betrag zusammenläppern.

STANDARD: Zuständig für den Vollzug sind die Bezirksverwaltungsbehörden. Werden Verstöße gleich zu Jahresbeginn streng geahndet?

Wratzfeld: Das hängt wahrscheinlich auch von den personellen Kapazitäten der Gleichbehandlungsanwaltschaft ab und davon, ob auch die Arbeiterkammer Gesetzesverstöße aktiv aufzeigen wird. Primär erwarte ich mir aber, dass Unternehmen künftig darauf achten werden, Inserate gesetzeskonform zu formulieren. Der Mindestlohn des jeweiligen Kollektivvertrags oder des anzuwendenden Mindestlohntarifs ist auszuweisen und - wenn beim Arbeitgeber vorhanden - die Bereitschaft der Überzahlung. So schwer ist das ja wirklich nicht.

STANDARD: Die Einkommensdiskriminierung von Frauen ist sachlich nicht zu rechtfertigen. Kann ihr mit der Neuregelung wirksam entgegengetreten werden?

Wratzfeld: Weil sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, liegt die Vermutung nahe, Frauen seien bei Gehaltsverhandlungen zurückhaltender, sie trauten sich nicht so wie Männer, auf den Tisch zu hauen. Wenn der Arbeitgeber nun schon im Inserat signalisiert, er sei bereit, mehr als den Mindestlohn zu zahlen, wird das so manche betroffene Frau ermutigen, offensiver zu verhandeln. Letztlich ist das aber eine Frage der Persönlichkeit, wie selbstbewusst jemand in der konkreten Situation agiert. Ich erwarte mir deshalb allgemein keine kurzfristigen Verbesserungen, die Gehälter werden sich nicht von heute auf morgen angleichen.

STANDARD: Das heißt, die Maßnahmen schärfen im besten Fall das Bewusstsein für Ungleichbehandlung.

Wratzfeld: Das mit Sicherheit.

STANDARD: Dann kann sich die Gleichbehandlungskommission künftig auch auf mehr Beschwerden gefasst machen?

Wratzfeld: Davon gehe ich aus. (Judith Hecht, DER STANDARD, Printausgabe, 17./18.12.2011)